Mein Taxifahrer sagt …

Bei den diesjährigen „Mainzer Tagen der Fernsehkritik“ sollte es um den vielzitierten kleinen Mann auf der Straße und seine Darstellung im Fernsehen gehen. Daraus wurde dann aber nichts …

VON HANNAH PILARCZYK

Der Taxifahrer kam dann doch früher als erwartet. Eine Kollegin aus dem Publikum bemühte schon am Montagvormittag den ewigen Kronzeugen aller derer, die das U-Bahn-Fahren vor Jahren aufgegeben haben und für die der kurze Plausch mit der Kioskbesitzerin eine spannende Begegnung verschiedener sozialer Milieus ist, um dessen Meinung zum diesjährigen Thema der „Mainzer Tage der Fernseh-Kritik“ kundzutun. So viel „kleiner Mann von der Straße“ musste wohl sein – schließlich sollte es bei der wichtigsten Tagung für Medienjournalisten im Hause des ZDF um ihn und seine Darstellung im Fernsehen gehen. Daraus wurde zwar nichts, aber dafür gab es eine Reihe eher zufälliger Erkenntnisse über das Selbstverständnis von Journalisten. Und die machten auf ihre Art auch betroffen.

„Bilder des sozialen Wandels – Das Fernsehen als Medium gesellschaftlicher Selbstverständigung“ galt es zu diskutieren. Ein wichtiges, ein hochaktuelles Thema in einer Zeit, in der die Bilder von den Montagsdemos noch präsent sind, die tatsächlichen sozialen Folgen von Hartz IV aber noch nicht sichtbar. Viele Fragen schließen sich daran an, Fragen etwa danach, wie man verwahrloste Menschen zeigt, ohne ihnen die Würde zu nehmen, oder wie man Arbeitslosengeld-II-Empfänger als Betroffene und nicht als Opfer darstellt. Doch um Bilder ging es erst viel später. Lieber wollten die anwesenden Zeitungs- und TV-Journalisten eine vorgeschaltete Frage besprechen: nämlich wie nah Journalisten am Elend der Welt dran sein müssen, um darüber berichten zu können.

„Raus“ in die „Welt“ …

„Ich lauf auch manchmal über die Zeil“, sagte etwa ZDF-Intendant Markus Schächter dazu – und meinte wohl, sich mit dem Bummel über die Frankfurter Haupteinkaufsstraße genug Kontakt zur „Außenwelt“ bescheinigt zu haben. Doch Schächter war nicht allein mit der Idee von einer wirklichen Welt da draußen, die der Journalist erst erfahren muss, bevor er über sie reden oder schreiben kann. Christoph Dieckmann von der Zeit war noch deutlich gezeichnet von einer Bahnfahrt durch Brandenburg, während derer wohl sozial Benachteiligte eingestiegen waren. Und auch Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des Berliner Tagesspiegels, erzählte, dass er seine Reporter auch immer „raus“-schicke: „Denn keiner hat ein Monopol auf Wahrheit.“ Dann forderte er noch so etwas wie „‚ZDF sozial‘ statt ‚ZDF royal‘“.

Dass eine Überidentifikation mit den Betroffenen nicht nur herablassend sein kann, sondern soziale Probleme auch verdecken statt enthüllen kann, zeigte Stefan Niggemeier von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Ausgehend vom Diktum „Hinter der Zahl von 5,2 Millionen Arbeitslosen stecken 5,2 Millionen Schicksale“ führte er Ausschnitte aus Nachrichtensendungen vor, die zwar viele Arbeitslose zeigten, aber kein Mal die möglichen Ursachen von Arbeitslosigkeit benannten. Ein Missstand mit Geschichte, wie Frank Thomsen vom Stern bestätigte: In der Hochzeit der sozialpädagogischen Betroffenheit, den 70er-Jahren, habe sich diese Form der Verengung auf das persönliche Schicksal etabliert, das Mitgefühl die Analyse verdrängt. Was daraus folgt, ob Reporter jetzt nicht mehr „Deutschland von unten“ erfahren, sondern mehr wirtschaftswissenschaftliche Bücher lesen müssen, blieb allerdings unklar.

Klar war allein, dass der Auftritt von Peter Hartz am Montagabend den Höhepunkt der Tagung bildete: Absolut überzeugt, den Masterplan zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland zu haben und gleichzeitig völlig erratisch legte der Personaldirektor von VW und Namensgeber der „größten deutschen Sozialreform“ eine Performance hin, die nicht wenige an Edmund Stoiber bei Sabine Christiansen erinnerte.

… und ab zum Airport

Danach, am Dienstag, kam nicht mehr viel, dafür aber Wichtiges: nämlich zum ersten Mal eine Debatte über konkrete Bilder – und zwar aus dem Unterschichts-Fernsehformat „Die Supernanny“. Zeigen die Bilder von schreienden, bockigen Kindern nur schreiende, bockige Kinder? Oder vielmehr soziale Verwahrlosung? Spiegeln sie aufklärerisch gesellschaftliche Realitäten oder bedienen sie Sozialvoyeurismus? Als diese Fragen ausgesprochen waren, waren die ersten Reihen schon lange leer, die Chefredakteure und Geschäftsführer längst in Richtung Flughafen abgefahren. Wahrscheinlich hörten sie sich gerade interessiert an, was ihr Taxifahrer zu Hartz IV zu sagen hatte.