MAN DARF VERSUCHSTIERE NICHT GEGEN DIE EU-CHEMIEREFORM AUSSPIELEN
: Explosive Mischung

Die Verbraucherministerin Renate Künast hat gestern versprochen, sich besser um Versuchstiere zu sorgen. Das Anliegen ist gut. 45 Millionen Ratten und Mäuse mehr könnten künftig leiden und sterben, weil die EU neue Tests für Chemikalien fordert. Davor haben Tierschützer gewarnt. Zu Recht fordern sie alternative Versuchsmethoden. Und dass ihre Angaben nur grob geschätzt sein können, spielt keine Rolle. Dennoch ist die derzeitige Debatte gefährlich.

Denn in Badelatschen, Computern und Filzstiften stecken heute äußerst schädliche, toxische Substanzen. Sie verflüchtigen sich, reichern sich in der Muttermilch an, tauchen selbst in den Hochalpen und der Arktis auf. Das Problem: In Europa werden täglich 30.000 Chemikalien produziert, deren Gefährlichkeit noch gar nicht bekannt ist. Ein Freilandversuch.

Das muss sich ändern. Die Chemieindustrie reagiert selbstverständlich allergisch auf neue Auflagen. Ärgerlich nur, dass Kanzler Gerhard Schröder und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement stramm an ihrer Seite stehen und die Vorgaben verwässern wollen. Ihnen geht es um Wirtschaftsinteressen, um BASF, Bayer und Hoechst-Nachfolger Celanese. Sie sagen es nur nicht so deutlich.

Da wird es sie freuen, wenn nun die Tierschützer offensiv vor den grausigen Nebeneffekten der Chemiereform warnen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Humane Tests mit Ratten oder Kaninchen gibt es nicht. So schnell und wo immer möglich soll die Wirkung der Stoffe ohne Labortiere getestet werden.

Doch wer die Chemiereform und das Verbot von Tierversuchen so zusammenrührt, der sorgt für ein explosives Gemisch. Eines, das die dringend notwendige Neuordnung des europäischen Stoffrechts sprengen könnte. Bittere Nebensache: Die Industrie würde sich trotzdem nicht für mehr Tierwohl und weniger Laborratten einsetzen.

Dazu bringt sie nur, wer inhaltlich argumentiert und das Vorsorgeprinzip fordert: Jede Substanz, die schon jetzt im Verdacht steht, die Gesundheit zu schädigen, muss sofort verboten werden. Beispiele gibt es dafür genug – ganz ohne neue Tierversuche. HANNA GERSMANN