Länder pokern um EU-Verfassung

Heute fordern vier Ministerpräsidenten von Kanzler Schröder mehr europapolitische Mitwirkungsrechte. Geht Schröder nicht auf sie ein, droht eine außenpolitische Blamage

FREIBURG taz ■ Das Signal aus Deutschland ist in Gefahr. Am 29. Mai soll die französische Bevölkerung über die Verfassung der Europäischen Union abstimmen. Zwei Tage vorher wollte der Bundesrat den Vertrag ratifizieren, doch nun haben die Länder den Zeitplan in Frage gestellt, um der Regierung mehr Mitspracherecht in Brüssel abzupressen.

Mit einem deutschen Ja zur EU-Verfassung sollte Frankreichs Präsident Chirac in seinem Werben um ein Ja der Franzosen unterstützt werden. Heute Abend treffen sich die Länderchefs Edmund Stoiber (CSU), Günther Oettinger (CDU), Kurt Beck und Klaus Wowereit (beide SPD) mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zu Verhandlungen. Bisher haben die Länder alle großen Änderungen der EU-Verträge genutzt, um ihre Position zu stärken.

Seit 1992 ist ihre Mitwirkung in der EU-Politik auch in Artikel 23 des Grundgesetzes garantiert. Demnach müssen sie über alle EU-Vorhaben „umfassend und frühestmöglich“ informiert werden. Die Regierung muss neben den Stellungnahmen des Bundestages auch die der Länderkammer bei den Verhandlungen in Brüssel „berücksichtigen“. Geht es dabei um Länderzuständigkeiten wie Bildung, Medien oder Polizei, ist die Position des Bundesrates sogar „maßgeblich“.

Dennoch haben die Länder einige Punkte gefunden, die sie für verbesserungswürdig halten. Heute Abend wird es vor allem um vier Forderungen gehen: Der Bundesrat will ein Vetorecht für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen zum Beispiel mit der Türkei. Wenn in der EU auf einem Politikfeld laut der Passarelleklausel der EU-Verfassung zur Mehrheitsabstimmung übergegangen wird, wollen die Länder ebenfalls widersprechen können.

Die deutschen RichterInnen am Europäischen Gerichtshof sollen nicht mehr von der Bundesregierung bestimmt werden, sondern im Richterwahlausschuss, also unter Beteiligung von Bundestagsabgeordneten und LandesjustizministerInnen. Dort wo die Länder „maßgeblichen“ Einfluss auf die deutsche Position haben, soll dies auch in der Frühphase eines EU-Vorhabens – zum Beispiel bei Grünbüchern der Kommission – gelten. Die Bundesregierung hat sich bisher gegenüber den Länderforderungen eher ablehnend gezeigt. Kein Wunder: Im Rahmen der vorerst gescheiterten Föderalismusreform hatte Berlin noch versucht, die Macht der Länder in der Europapolitik zurückzudrängen, um mehr Flexibilität bei den Brüsseler Verhandlungen zu bekommen. Was aber werden die Länder tun, wenn Schröder hart bleibt?

Bisher haben die Ministerpräsidenten klargestellt, dass sie die EU-Verfassung auf jeden Fall ratifizieren werden. Allerdings drohen vor allem die CDU-Länderchefs damit, die Zustimmung erst nach dem französischen Referendum zu erteilen. Sie würden damit aber nicht nur SPD-Kanzler Schröder eine Blamage bereiten, vielmehr würden sie auch Jacques Chirac, dem konservativen französischen Staatspräsidenten, bei seinem Werben für ein „Oui“ in den Rücken fallen. CHRISTIAN RATH