Wie es in Nordkorea zugeht

HEULEN UND ZETERN „Our Homeland“ (kazku no kuni) von Yang Yonghi braucht kaum Dialoge, sondern erschüttert mit ungelenker Körperlichkeit (Forum)

Einmal zitiert der Vater seinen Sohn Sonho zu einem Gespräch unter vier Augen. Bislang ist niemand aus der Haut gefahren, es gab keinen Wutanfall, keinen Tränenausbruch, nichts. Der Sohn kommt ins Zimmer und beginnt am ganzen Körper zu beben, hilflos mit den Armen zu wedeln, es wirkt, als müsse er gleich platzen.

Ein andermal muss sich Sonho von seiner Schwester Rie losreißen, um ins Auto steigen zu können. Als der Wagen anfährt, rennt Rie in der Gasse hin und her wie in einem Käfig. Ihre Hände sind geballt, aber auch sie findet kein Ventil für diese Wut.

Es ist vor allem diese ungelenke Körperlichkeit seiner Protagonisten, die Yang Yonghis extrem reduziertes und dialogarmes Spielfilmdebüt „Our Homeland“ zu einem so beklemmenden wie erschütternden Film machen. Yang Yonghi hat sich wie in zweien ihrer Dokumentarfilme, die 2006 und 2010 im Forum zu sehen waren, erneut ihrem Lebensthema genähert. Als Tochter koreanischer Einwanderer, die Mitglieder einer Nordkorea-treuen Gruppierung in Japan waren, musste sie erleben, wie ihre Brüder in den siebziger Jahren von den Eltern nach Nordkorea geschickt wurden. Sie waren damals 14, 16 und 18 Jahre alt.

Der Schmerz der Eltern

Weil sie seit ihren Dokumentarfilmen nicht mehr in Nordkorea einreisen darf, erzählt Yang Yonghi die dritte Geschichte aus ihrer Familie anders.

Diesmal geht es um einen halbfiktiven Bruder, der wegen der Behandlung eines Tumors im Kopf nach einem Vierteljahrhundert die Familie besuchen darf. Die Tragödie dieser Familie – die Trennung, die Not der Brüder, die Einsicht der Eltern, dass sie falsch gehandelt haben – schwingt diesmal eher wie ein leises Brummen mit. Durch die Reduktion des Films auf den Schmerz der Eltern und der Geschwister, ihre verzweifelte Sehnsucht nach Normalität, die sich in jeder noch so verhaltenen und ausgebremsten Geste verrät, geraten andere Fragen in den Blick.

Was ändert es, wenn man gegen Dinge aufbegehrt, die verloren sind? Oder auch: Wem hilft es, zu heulen und zu zetern, außer einem selbst? Yang Yonghi stellt diese Fragen, die manche kulturellen Gewohnheiten aus hiesiger Sicht auf den Kopf stellen mögen, beantwortet sie aber nicht. Der Bruder muss am Ende völlig überraschend auf Befehl von oben und ohne Behandlung zurück, man weiß nicht, ob der Abschied für immer ist. Wahrscheinlich war es trotzdem gut für ihn, dass ihn niemand gefragt hat, wie es wirklich zugeht in Nordkorea.

Aber war es für die echte Familie Yang Yonghis in Nordkorea, die diesem Film als Vorlage diente, auch gut, dass sie im Film auftauchen? Sind sie deshalb drangsaliert worden? Wer weiß, ob sie Yang Yonghi wiedersehen können. All diese schweren Fragen stellt „Our Homeland“, dieser Film, der umso bedrohlicher wirkt, desto leiser er ist und seine Zuschauer wie seine Helden schier zerreißt. SUSANNE MESSMER

■ Heute, 19 Uhr, Cubix 9