Geschichtsstunde am Bunker

Die Oberstufenschüler des Schulzentrums Blumenthal verlegten ihren Unterricht gestern in den kalten Monster-Bunker Valentin in Farge – und hörten Zeitzeugen zu

Er hat nie wieder eine Waffe in die Hand genommen – nicht mal auf dem Freimarkt

bremen taz ■ Die OberstufenschülerInnen des Schulzentrums Blumenthal haben gestern den U-Boot-Bunker Valentin in Farge besetzt. Das Programm: Geschichte mal anders. Sechs Zelte waren für Gruppen-Diskussionen am Weserdeich vor dem Bunker aufgebaut. In dem riesigen Betonmonster lieferten sechs Filmprojektoren bedrückende Bilder – in der Kälte des Bunkers wurde das Grauen des Krieges erlebbar gemacht. Menschen, die im Gegensatz zu den Plastikfiguren bei SAT1 und Pro 7 laut schreien und leiden, wenn sie getroffen werden.

Einige der Schüler kommen aus örtlichen Familien – keiner berichtete, dass er in seiner Familie etwas von der örtlichen Geschichte gehört hatte. Gestern erzählten Zeitzeugen von der Zeit, die künftige Schüler nur noch aus Büchern und Filmen kennen werden. Der französische KZ-Häftling André Migdal war da, auch die Deutsche Eva Sternheim-Peters. Die Nazis – das waren die „Progressiven“ 1933, beschrieb sie schon in ihrem Buch die Wahl Hitlers. „Jungmädelbund“ – endlich gab es etwas für die Mädchen in Paderborn, schildert sie die Stimmung von einst. 1936 herrschte Arbeitskräftemangel. „Der Führer braucht Dich“ – das war kein leeres Wort.

In einem dieser Jahre hat sie eine schöne Fahrt ins Elsass gemacht, erzählt sie, mit dem „Jungmädelbund“. Als sie nach dem Krieg ihren Mann, einen jüdischen Herrn Sternheim, heiratete, erfuhr, sie, dass in demselben Sommer dessen Mutter nach Riga deportiert und dort ermordet worden war. „Im Nachhinein ist uns diese Jugend verdorben worden“, bekennt sie.

Karl Lüneburg, der frühere Bremer Ortsamtsleiter, war auch da. Dass es „Umerziehungslager“ gab, in die die SA bestimmte Leute verschwinden ließ, wusste er seit dem Januar 1933. Dennoch ist er 1944 „begeistert“ in den Krieg marschiert, erzählt er. Als er aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkam, waren sein Vater und sein Bruder gefallen, seine Mutter umgekommen. Er hat nie wieder eine Waffe in die Hand genommen, sagt er – nicht mal auf dem Freimarkt.

So dicht wird Geschichte selten. Warum es denn keine Demonstration gegen den Kriegsbunker in Farge gegeben habe, will ein Schüler wissen. Der Historiker Jan-Friedrich Heinemann erklärt, dass die meisten im Dorf ihre Vorteile hatten von der riesigen Baustelle, und dass man ja gelernt hatte, dass Zwangsarbeiter Verbrecher sind. Bis zur Kapitulation 1945 war kaum Raum im Kopf für andre Gedanken. kawe

Über ihre Erlebnisse im Krieg reden Paula Bücking (84), Horst von Hassel (77) und Hans Koschnick (76) am kommenden Montag, 2. Mai, mit den Bremer Historikern Wolfgang Eichwede und Doris Kaufmann (Obere Rathaushalle, 20 Uhr)