Berlin als Chance

Wieso ist Berlin für Stettiner noch so weit weg? Die Stadt an der Oder orientiert sich noch zu wenig Richtung Westen. Bericht einer Stettinerin

VON MONIKA STEFANEK

Die Love Parade, billige Fluglinien, Schlussverkauf am Ende der Saison und jede Menge kultureller Veranstaltungen – vor allem das fällt dem durchschnittlichen Stettiner ein, wenn er an Berlin denkt. Oder besser gesagt: dem jungen Einwohner von Stettin. Die älteren halten Berlin seit Jahren vor allem für einen riesigen Arbeitsmarkt, auf dem man jobben kann. Manche erinnern sich immer noch an den „Polenmarkt“, auf dem sie kurz nach der Grenzöffnung ihre ersten Lektionen in Sachen Handel gelernt haben. Damals war Berlin oft das erste Reiseziel im Ausland für Stettiner Einwohner.

Aber war’s das schon? Noch immer scheint die nur 140 Kilometer von Stettin entfernte deutsche Metropole weit weg zu sein. Während der vergangenen 15 Jahre hat sich daran nichts geändert. Natürlich: Man spricht offiziell viel von Zusammenarbeit zwischen den beiden Städten. Auch in den Medien kann man immer wieder hören und lesen, wie wichtig Berlin für Stettin ist und umgekehrt. In fast jedem Reiseführer über Stettin findet man eine kurze Mitteilung, dass die Stadt so nah an Berlin liegt. Das soll sowohl Touristen als auch Investoren anziehen.

Tut es aber nicht. Warum? Die größte Schuld hat leider die polnische Seite. Eine Ursache ist sicher die Passivität der Stettiner Bewohner und ihre Abneigung zum Überwinden von Widrigkeiten. Die Gleichgültigkeit für die Belange der Stadt ist hier ausgeprägter als in anderen polnischen Städten. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, fast 45 Jahren lang, war Warschau der einzige Orientierungspunkt für Stettin. Erst nach der Wende hat man angefangen, wieder nach Westen zu schauen. Die Stadt tat sich jedoch schwer, die Rückstände aus der Zeit vor 1989 aufzuholen.

Auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Städten lassen viel zu wünschen übrig. Es scheint, als habe der nationalistische Stadtpräsident, Marian Jurczyk, die deutschen Unternehmer auf Dauer entmutigt, ihre Geschäfte in Stettin zu gründen und zu führen. Auch die Verkehrsprobleme zwischen Berlin und Stettin sind nach wie vor nicht gelöst. Die Fahrt mit dem Zug dauert gut zwei Stunden und es gibt nur zwei Direktverbindungen – das ist zu wenig. Etwas leichter haben es die Autofahrer. Die Autobahn nach Berlin, die seit Jahren modernisiert wird, ist immer besser befahrbar.

Nur, was hat Stettin von dieser Nähe? Seit der EU-Osterweiterung ist die Zahl der nach Stettin reisenden Deutschen, darunter viele Berliner, stark gestiegen. Die Grenze in den Köpfen wurde endlich überwinden. Seit dem 1. Mai 2004 ist Polen nicht mehr das unbekannte Land wie noch vor dem EU-Beitritt, und Stettin wird immer attraktiver für die Gäste von der Westseite der Grenze. Das Problem ist, diese Touristen länger zu halten. Meistens bleiben sie nur ein oder zwei Tage. Stettin ist für sie nur eine „Haltestelle“ und keine „Endstation“. Nach einer kurzen Stadtbesichtigung, zu der unbedingt der Besuch im Supermarkt gehören muss, fahren die Deutschen weiter ins polnische Landesinnere – oder zurück nach Hause.

Nicht zuletzt fehlt es immer noch an Werbung für die westpommersche Hauptstadt. Die Stettiner müssen begreifen, dass die Berliner in ihrer 3,5-Millionen-Stadt im Grunde alles haben. Damit sie nach Stettin kommen, müssen sich die Stettiner von ihrer besten Seite zeigen. Aber oft wissen sie selbst nicht, was sie Wertvolles besitzen.

Am besten konnte man den Mangel beim Marketing bei der letzten Internationalen Tourismus-Börse in Berlin beobachten. In knapp zwei Jahren wird in Stettin das größte Segelschiffstreffen der Welt stattfinden: „The Tall Races Ship 2007“. Der Stettiner Stand auf der ITB hatte aber keine Informationsbroschüren darüber, fast so, als ob das Treffen kein wichtiges Thema für die Stadt wäre. „Solche Veranstaltungen bewirbt man nicht in ein paar Tagen. Für gute Promotion braucht man wirklich viel Zeit“, hat damals Janusz Stanek, der Vorsitzende des Westpommerschen Tourismusverbandes in Stettin, festgestellt. Allein die Stadtverwaltung hatte kein Interesse, dafür zu werben. Ein gutes Beispiel dafür, wie man für eine große Veranstaltung werben sollte, ist die Fußballweltmeisterschaft 2006, für die schon seit Jahren in Polen kräftig die Werbetrommel gerührt wird.

Auch das Stettiner Haff sollte die beiden Städte näher bringen. Dabei kann man aber immer wieder auch Befürchtungen hören, dass Stettin nur als Hafen für Berlin betrachtet wird. Man vergisst, dass sowohl die deutsche Metropole als auch die westpommersche Hauptstadt davon profitieren können.

Ähnliche Missverständnisse kann man in vielen Bereichen finden – auf beiden Seiten. Woran es am meisten mangelt, ist Initiative. Erfolge gibt es nur, wenn man etwas unternimmt. Von alleine geht nichts.