„Dann räumen die Chinesen alles ab“

Gespräch mit Jörg Roßkopf, dem Tischtennis-Heros von einst, der trotz großer Kritik an seinem Auftritt bei der vergangenen Europameisterschaft und einer miserablen Bundesligabilanz für die WM in Schanghai nominiert ist

taz: Herr Roßkopf, fürchten Sie bereits jetzt die Stimmen nach der Weltmeisterschaft in Schanghai?

Jörg Roßkopf: (lacht) Da ich schon nach der Europameisterschaft vor ein paar Wochen viel einstecken musste, kann es kaum schlimmer kommen. Bei einer WM ist die Erwartungshaltung weit geringer, denn man kann nur eine Überraschung schaffen. Dass wir bei der EM mit dem Viertelfinal-Aus eine herbe Enttäuschung erlebten, wissen wir alle – ich hätte nur nicht gedacht, dass eine einzelne Person dermaßen in die Kritik gerät. Ich lebe damit, auch wenn es mir sehr, sehr schwer fällt. Deswegen trete ich aber nicht zurück.

Einige Ex-Fans, die Sie eineinhalb Jahrzehnte lang mit großen Erfolgen verwöhnten, sehen Ihre Zeit abgelaufen. Die verheerende Rückrunden-Bilanz in der Bundesliga mit 1:13 Punkten bestätigt die Kritiker.

Ich bin gut in das neue Jahr gestartet und verbesserte mein Spiel. Danach geriet ich völlig außer Tritt. 1:13 Zähler sind katastrophal – so etwas darf ich nicht spielen, ganz klar. Ich machte mir schon wegen des Nominierungs-Hickhacks für die EM zu viele Gedanken. Das darf jedoch keine Ausrede sein. Auch wenn wir im Halbfinale der Champions League stehen, haben wir in Gönnern in der Bundesliga versagt. In der Nationalmannschaft verlor nicht einer, sondern alle. Ich mache mir gerne Gedanken über Kritik – aber wie sie vorgetragen wurde in irgendwelchen Internet-Foren, das enttäuschte mich. Wenn man mich nicht für stark genug hält, dann brauchen die Bundestrainer mich auch nicht für die Nationalmannschaft zu nominieren.

Bei der WM sind Sie aber noch dabei.

Das schon. Ich möchte natürlich die EM vergessen machen, rechne mir aber nicht viel aus. Wie alle anderen – mit Ausnahme von Timo Boll – wollen wir ein paar Runden überstehen, das war’s dann. Ab der dritten Runde stellen sich mir die Chinesen Chen Qi, Kong Linghui und Wang Liqin in die Quere.

Kann in Schanghai jemand fünf Goldmedaillen der Tischtennis-Supermacht verhindern?

Bei der letzten WM in China 1995 holten sie alle Titel. Der prestigeträchtigste Wettbewerb im Herren-Einzel blieb den Chinesen jedoch im Vorjahr bei Olympia sowie bei der WM in Paris 2003 versagt. Von ihren sieben nominierten Spielern hat allerdings jeder das Zeug, Weltmeister zu werden. Wenn wir ganz, ganz großes Pech haben, räumen die sehr gut vorbereiteten Chinesen alles ab – ein paar Europäer um Titelverteidiger Werner Schlager und den südkoreanischen Olympiasieger Ryu Seung Min können das aber auch vereiteln. Immerhin lastet auf den Gastgebern ein enormer Druck.

Wie stehen die Aktien für den Weltranglistenfünften Timo Boll?

Er gab als Ziel eine Medaille aus. Rückenprobleme hat er nicht mehr, die als Ausrede gelten könnten – wieso sollte es also nicht klappen?

Weil mit dem Rumänen Adrian Crisan und dem Weltranglistenzweiten Ma Lin aus China zwei Angstgegner in seinem Auslosungsviertel stehen. Und weil ihm bei Großereignissen Ihre Energie und Ihr Siegeswillen fehlt.

Ja, ja. Er bereitet sich nicht so gezielt auf Höhepunkte vor, wie es meine Generation geschafft hat. Statt von einem Turnier zum anderen zu hetzen, müsste er sich auf die zwei, drei Höhepunkte des Jahres konzentrieren.

Boll und Christian Süß holten bei der EM Bronze. Ist in China noch mehr drin?

Ich glaube, dass sie die Asiaten gefährden können. Sie spielen gerne gegen sie, obwohl die Asiaten starke Doppel bilden. Timo hat auf jeden Fall zwei Eisen im Feuer. Christian kann sich sehr gut vorbereiten, ist mental sehr stark und vermag den älteren Partner zu pushen. Eine erstaunliche Fähigkeit mit 19 Jahren.

Kann die Doppel-Partnerschaft zwischen Süß und Boll darunter leiden, dass Letzterer bei der EM in Aarhus vor der Medaillenverleihung abreiste? Bei „Fetzkopf“, den Weltmeistern von 1989, Steffen Fetzner und Jörg Roßkopf, wäre das undenkbar gewesen.

So etwas habe ich noch nicht erlebt. Christians größter Erfolg wurde geschmälert und für ihn zur Enttäuschung. Timo musste dafür viel Kritik einstecken und würde es heute bestimmt anders machen. Doch da fehlen ihm die Leute, die ihm die richtigen Ratschläge geben. Es gehört sich einfach im Doppel, dass man zusammen gewinnt, zusammen verliert und zusammen auf dem Treppchen steht.

Manche behaupten, für Jörg Roßkopf steht die letzte Einzel-WM an, danach wollten Sie bis zur Mannschafts-WM 2006 in Bremen durchhalten und würden aus Altersstarrsinn auf einem Platz im Nationalteam beharren – auch, weil man natürlich ein Tischtennis-Idol wie Sie nach fünfzehn Jahren nicht vom Sockel stoßen will.

Nein, dafür sind wir im Hochleistungssport. Es gilt das Leistungsprinzip. Für alte Erfolge vor Jahren kann man sich nichts kaufen. Wenn ich nicht stark genug bin, bin ich der Erste, der den Bundestrainern empfiehlt, einen anderen aufzubieten. Stehe ich als Nummer fünf oder sechs mangels einer Leistungssteigerung auf der Kippe, verzichte ich. Noch bin ich aber hinter Timo in der Weltrangliste der zweitbeste Deutsche und habe wichtige Siege zur Mannschafts-Vizeweltmeisterschaft in Katar beigetragen.

INTERVIEW: HARTMUT METZ