Gimme Schiller

Deutsche Künstler lebenskriseln immer so schön romantisch: Das Filmporträt „Schiller“ (20.40 Uhr, Arte) kriegt einen trotz altbekannter Bilder und angestaubter Genie-Huldigung

VON DIRK KNIPPHALS

Ein Genie in Aktion – irgendwann muss man mal genauer darüber nachdenken, warum man sich so etwas als Fernsehzuschauer gerne vorführen lässt. An der Handlung selbst kann es nicht liegen: Im eigentlichen Sinne zu sehen gibt es bei den genialen Herren Dichter und Denker ja oft nicht so viel. Auch dem Fernsehfilm „Schiller“, der heute Abend den medialen Endspurt in den ausgedehnten Feierlichkeiten zum 200. Todestag einläutet, ist in dieser Hinsicht nicht so viel eingefallen. Regisseur Martin Weinhart porträtiert den Dichter als junger Mann, und vor allem wenn zum Ende hin Armut, Schlaflosigkeit und Alltagssorgen ihre dramaturgischen Knoten schnüren, bietet der Film viele altbekannte Bilder.

Man sieht Schiller in einer ärmlichen Mannheimer Absteige seine Locken zerwuseln und mit fliegender Hast Verse aufs Papier setzen. Zwischendrin nimmt er ein paar ordentliche Schlucke aus der Flasche. Schließlich folgt auch noch der Klassiker: der Künstler fiebernd im Bett, verschwitzt und mit wirren Augen um sich blickend. Das ist in Künstlerdramen immer der Punkt, der die größte Krise anzeigt – worauf sich dann oft eine helfende Seele findet, die das Genie wieder aufrichtet; hier ist es ein musikbegeisterter Jugendfreund, der seine eigene Karriere hintanstellt, um Schiller als Sidekick bei seiner Etablierung als Genie zu dienen.

Dass man solche Szenen immer wieder gerne sieht, muss irgendetwas mit einem Entlastungseffekt zu tun haben. Vielleicht fühlt man sich einfach wohl, wenn Künstler stellvertretend für einen leiden? Der strenge Kulturkritiker Marcuse hat so etwas einst als affirmativ und gesellschaftsstabilisierend gegeißelt. Aber Marcuse ist tot, und Schiller lebt wieder auf, und jedenfalls scheint man sich mit solchen Bildern auf vertrautem Terrain zu befinden. Tief in unser Alltagsbewusstsein müssen sich die Erzählungen von genialischen manisch-depressiven Schüben der Künstler eingegraben haben, und ihr Ringen um Anerkennung sowie die Probleme, selbige zu kriegen, gehören zu den Grundmythen unserer Gesellschaft; kaum etwas ist mehrheitstauglicher als die Mär vom Genie als Außenseiter der Gesellschaft. Und siehe: Gerade in den Genie-und-Wahnsinn-Szenen des „Schiller“-Fernsehspiels spürt man, wie sicher sich der Regisseur und die Darsteller gefühlt haben müssen. Sie kommen letztlich dann doch ziemlich routiniert rüber und Matthias Schweighöfer als Friedrich Schiller auch eher beflissen als wirklich packend.

Seltsam also: Gerade wenn das Kunstpathos voll orchestriert werden soll, hat dieser Film etwas Einlullendes – man sieht das eben ganz gern und hakt es schnell unter der Rubrik ab: Deutsche Künstler lebenskriseln immer so schön romantisch.

Aber zum Glück füllen diese Krisenszenen den Fernsehfilm nicht aus, und überhaupt wäre es ein ziemliches Missverständnis, ihn als Biopic über Leben und Werk des einstigen Dichterfürsten und heutigen Abiturlernstoffs zu verstehen. Über Schiller selbst erfährt man nämlich nicht so viel, nur dass er Stücke wie „Die Räuber“ und „Fiesko von Genua“ geschrieben hat, die mit ihrem eindringlichen Freiheitspathos offensichtlich für ziemlich viel Furore auf dem zeitgenössischen Theater gesorgt haben. Dafür funktioniert der Dichter hier aber gut als eine Art Durchlauferhitzer, als Mann, der den Ernstfall anzeigt, nun aber wirklich unbedingt etwas aus seinem Leben machen zu müssen, und damit Schwung in den Reigen der Nebenfiguren bringt.

Da ist Jürgen Tarrach als Theaterdirektor oder Barbara Auer als durch eine Krankheit verunstaltete Diva: Im Vorübergehen und dank sorgfältiger Ausstattung sowie motivierter Schauspieler erhält man so einen guten Eindruck von den damaligen Verhältnissen an einem Theater wie Mannheim. Hübsch, so deutlich zu sehen, dass die Theaterbegeisterung in Deutschland mit der Enge und Strenge an den damaligen Fürstenhöfen zu tun hatte – gerade der hohe Ton und das Pathos der Schiller’schen Dramen wirken noch wie Ventile, dem Alltag ein Schnippchen zu schlagen. Die legendäre Erstaufführung der „Räuber“ in Mannheim gewinnt sogar Züge eines Pop-Events: Weinharts Film versucht, die deutsche Schillerrezeption an dem Punkt zu fassen, bevor sie ins Weihevolle der Klassikerverehrung kippte.

Mit einigem Recht hätte der Film auch „Iffland“ heißen können; der Schauspieler und Theaterautor August Wilhelm Iffland wird als Gegenspieler und Konkurrent Schillers eingeführt – Robert Dölle spielt ihn so überzeugend als zwischen Neid und Bewunderung changierende Figur, dass man ihm phasenweise interessierter zuschaut als Schiller. Ein Künstler, nicht der Genieästhetik, sondern den Formen und Theaterkonventionen seiner Zeit verpflichtet, der allmählich erkennen muss, dass er gegen einen Berserker wie Schiller den Kürzeren ziehen wird – das ist im Grunde das viel interessantere Künstlerdrama.

Die ARD wiederholt „Schiller“ am 4. Mai um 20.15 Uhr