Innenminister lernen Afghanistan lieben

Sicher, offen, vertrauensvoll: Hamburgs Innensenator hat plötzlich ein Faible für das krisengeschüttelte Afghanistan entwickelt. Die Erklärung ist einfach: Hamburg will im großen Stil Flüchtlinge rauswerfen. Das Beispiel könnte schnell Schule machen

VON ASTRID GEISLER

Über seine jüngste Dienstreise in den Süden wusste Hamburgs Innensenator Udo Nagel nur Gutes zu berichten: Der Empfang sei „offen und vertrauensvoll“ gewesen, schwärmte der parteilose Politiker, die Sicherheitslage „stabil“. Man könnte meinen, Nagel sei an der Adria gewesen – er war in Afghanistan.

Für das ungewöhnliche Reiseziel des Innensenators gab es einen ebenso aktuellen wie brisanten Anlass: Hamburg will als erstes deutsches Bundesland von Mai an im größeren Stil Flüchtlinge zurück nach Afghanistan schicken – wer nicht freiwillig die Sachen packt, dem blüht die Abschiebung.

Der Rechtssenat hat es dabei eilig. Morgen läuft die Frist eines Abschiebestopps ab, auf den sich Bund und Länder verständigt hatten. Die nächste Innenministerkonferenz findet zwar schon Mitte Juni statt. Bis dahin aber will Hamburg Tatsachen schaffen: Es sei die „feste Absicht“, noch im Mai die ersten alleinstehenden Afghanen zurückzuführen, erklärte Nagel. Laut seinem Sprecher luden die Behörden mehr als 100 Männer vor, um sie über die neue Perspektive zu informieren.

Der „Afghanen raus“-Kurs könnte richtungsweisend sein, denn in der Hansestadt leben 15.000 afghanische Flüchtlinge – mehr als in jedem anderen Bundesland. Jeder Dritte ist laut Innenbehörde ausreisepflichtig.

Ob die Lage in Afghanistan wirklich sicherer geworden ist, ob man Menschen zwangsweise dorthin zurückschicken darf – darüber gehen die Meinungen auseinander. In unionsgeführten Innenministerien teilt man die Hamburger Linie. Nun soll Nagels Behörde offenbar die ersten Fälle durchboxen, die Kollegen wollen dann folgen.

Baden-Württemberg bereite bereits die ersten „Rückführungen“ vor, sagte ein Sprecher des Innenministeriums der taz. Nach Informationen von Flüchtlingsberatern plant Hessen das Gleiche – und auch Bayern will nicht nachstehen. Im Mai sei man zwar noch mit der Abschiebung von Straftätern ausgelastet, so ein Sprecher von Innenminister Günther Beckstein (CSU). Der Übergang werde aber „fließend“ sein.

Angesichts dieser Pläne schlagen Flüchtlingsberater Alarm. Als Teil einer Delegation der Rechtsberaterkonferenz freier Wohlfahrtsverbände ist die Berliner Anwältin Veronika Arendt-Rojahn gerade aus Kabul zurückgekehrt. Gemeinsam mit den Kollegen feilt sie noch an dem aktuellen Lagebericht, aus einem machen die Juristen jedoch kein Geheimnis: Ihr Fazit steht Nagels frohen Botschaften aus Kabul entgegen.

So versicherte Nagel, der afghanische Flüchtlingsminister Azam Dadfar habe auf die Abschiebepläne „aufgeschlossen“ reagiert und sehe „keine Hindernisse“. Anwältin Arendt-Rojahn kann darüber jedoch nur staunen: „Uns gegenüber hat er eine ganz andere Auffassung vertreten“, sagte sie gestern der taz. „Nachdrücklich“ habe der afghanische Minister vor Abschiebungen im größeren Stil gewarnt.

Ein Grund dürfte die prekäre humanitäre und ökonomische Situation in Kabul sein. Doch auch von Frieden kann längst noch nicht überall im Land die Rede sein: „Nicht sicher und nicht stabil“, lautete die jüngste Lageeinschätzung der dort stationierten Bundeswehr. Kein Wunder, dass das Bundesamt für Migration trotz umfangreicher Rückkehrhilfeprogramme im vergangenen Jahr nur 209 freiwillige Heimkehrer zählte – verglichen mit 3.200 Rückkehrern nach Serbien-Montenegro.