„Ich bin sehr stolz“

SPD-SENAT Bürgermeister Olaf Scholz zieht nach einem Amtsjahr im taz-Interview Bilanz. Gegen SPD-Brauch will er Parteichef bleiben. Ein Gespräch über schlechte Überraschungen und Monopoly-Spiele

53, Sozialdemokrat und Jurist. Heute vor einem Jahr Wahlsieger – und beinahe so lange Erster Bürgermeister in HamburgFoto: dpa

INTERVIEW MARCO CARINI, SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Herr Scholz, hat Sie im ersten Jahr Ihrer Amtszeit irgendetwas überrascht?

Olaf Scholz: Was mich überrascht hat, war, dass ich keine Pläne für die Stadt vorfand, die wir hätten aufgreifen und fortentwickeln können. Auch das spricht dafür, dass es notwendig war, durch einen Regierungswechsel für Hamburg neue Perspektiven zu öffnen.

Aber nichts war noch schlimmer, als Sie befürchtet hatten?

Die schwierige Haushaltslage war mir bekannt. Deshalb haben wir sofort begonnen, das strukturelle Defizit schrittweise abzubauen, und bis 2020 wieder eine solide Finanzbasis herzustellen.

Was war Ihre schwierigste Entscheidung?

Es gab und gibt eine Reihe hochkomplexer Aufgaben zu lösen: Wohnungsbauprogramm, HSH Nordbank, Elbvertiefung – ohne Anspruch auf Vollzähligkeit.

Vermisst haben wir eine umweltpolitische Handschrift.

Ich bin sehr stolz auf die Energiewende, die wir in Hamburg vertraglich vereinbart haben, die Nutzung der Windenergie und den Ausbau der Speichertechnik. Und in der Entwicklung der E-Mobilität sind wir weiter als alle anderen Städte in Deutschland.

Bei den Energienetzen lehnen Sie es ab, eine Mehrheit zu erwerben, bei der Reederei Hapag-Lloyd steigt Hamburg groß ein. Warum dieser Unterschied?

Bei den Energienetzen wollen wir eine strategische Beteiligung von 25,1 Prozent erwerben und dauerhaft behalten, um Einfluss ausüben zu können. Durch die Beteiligung an Hapag-Lloyd wollen wir das Unternehmen in Hamburg sichern, unsere Anteile aber bei passender Gelegenheit an einen seriösen Partner wieder veräußern. Das ist der Unterschied: Hier wollen wir auf lange Sicht gestalten, dort wollen wir verhindern, dass ein großes Hamburger Unternehmen einem weltweiten Monopoly zum Opfer fällt. Und beides zum geringstmöglichen Preis.

Aber 420 Millionen für die Reederei sind kein Pappenstiel, das ist mehr als der städtische Anteil an der Elbphilharmonie.

Es geht bei Hapag-Lloyd nicht darum, Geld konsumptiv auszugeben. Wir setzen es ein in der sicheren Erwartung, es zurückzuerhalten.

Der Tod von Chantal bewegt Hamburg seit Wochen. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Der Tod des Mädchens Chantal ist das Berührendste in meiner Amtszeit als Bürgermeister gewesen. Das ist etwas, das mir sehr ans Herz geht. Nach früheren Todesfällen hat es bereits weitreichende Maßnahmen früherer Senate gegeben. Aber wir müssen jetzt die Systeme so effizient machen, dass keine Fehlentscheidungen wie bei Chantal mehr getroffen werden können. Auch müssen wir den Ausbau der flächendeckenden öffentlichen Kinderbetreuung von der Krippe bis zur Ganztagsschule weiterführen, um allen Kindern in dieser Stadt – unabhängig von ihrem Elternhaus – eine gute Zukunft bieten zu können.

Auch den Pflegekindern?

Wir müssen sicherstellen, dass die Pflegefamilien gut für das Kind sind. Gewalt, Kriminalität, Drogen – das geht nicht. Wir müssen für ein gutes Zuhause sorgen.

Werden Sie auf dem Parteitag im Juni wieder als Landesvorsitzender kandidieren?

Ja.

Bislang mussten Hamburger SPD-Vorsitzende ihr Amt aufgeben, wenn sie Senator oder gar Bürgermeister wurden. Sie bleiben beides?

Auf absehbare Zeit ist die Verbindung dieser beiden Ämter gut für die Entwicklung Hamburgs. Das ist der Maßstab. Ich bin niemand, der Verantwortung von sich fern hält. Die Ausrede, für etwas nicht zuständig zu sein, möchte ich für mich niemals gelten lassen.

Ungeschriebene Gesetze der Partei gelten für Sie nicht?

Ich habe davon in Zeitungen gelesen, mir sind sie als Gesetze aber noch nicht begegnet.