Der alte Neue ist endlich da

HAUPTSTADTTHEATER Otto Rehhagel übernimmt den Feuerwehrmann-Posten beim abstiegsgefährdeten Bundesligisten Hertha BSC Berlin – und lässt sich feiern für ein halbes Jahrhundert Ehe mit Beate

AUS BERLIN JOHANNES KOPP

Um 13.09 Uhr betritt Otto Rehhagel den kleinen Presseraum von Hertha BSC Berlin. Gut sechzig Journalisten rangeln sich hier um die besten Plätze. Auf dem Podium wird Rehhagel von Kamerateams und Fotografen umstellt. Dem Blitzlichtgewitter kann der Pressesprecher nur mit Mühe Einhalt gebieten. Hertha ist plötzlich ganz groß in den Unterhaltungsbetrieb der Fußball-Bundesliga eingestiegen. Bislang fiel der wenig charismatische Manager Michael Preetz mit seinen biederen Entscheidungen kaum auf. Doch mit der überraschenden Inthronisierung des 73-jährigen Philosophen, Pädagogen und Fußballlehrers Rehhagel sind die Erwartungen gestiegen, dass Berlin künftig mehr Erzählstoff liefern wird.

Gemessen daran ist der erste Auftritt von Rehhagel allerdings recht unspektakulär. Er begrüßt die Menge mit „Guten Tag, die Herrschaften“. Man muss genau hinhören, um Rehhagel überhaupt zu verstehen. Der Patriarch spricht recht leise. Und seine Worte wählt er erstaunlich wenig hitzig. Er sagt: „Es geht hier nicht um Leben und Tod. Es ist nur Sport. Wenn es nicht reicht, dann eben nicht.“ Seine Reputation habe er sowieso nicht mehr zu verlieren. „Die können Sie mir doch nicht wegnehmen“, erklärt er einem Journalisten. Das klingt erstaunlich lax für einen, der als Feuerwehrmann für drei Monate geholt wurde, um den Aufsteiger Hertha vor dem erneuten Abstieg zu bewahren. Und Preetz, der mit Rehhagels Verpflichtung den kleinen Rest seiner verbliebenen Reputation zu retten versucht, dürfte es innerlich ein wenig bange zumute gewesen sein angesichts dieser demonstrativen Gelassenheit.

Nur einmal wird Rehhagel etwas lauter. Als es um seine Verfassung geht, betont er, dass er fit sei. Wild gestikulierend erklärt er: „Ich kann schon noch sagen Attack, Attack.“ Ein englischsprachiger Anfeuerungsruf, der vermutlich noch aus seiner Zeit als griechischer Nationaltrainer stammen dürfte. Typisch Rehhagel ist, dass selbst sein Understatement nicht bescheiden klingt: „Ich kann keine Tore schießen, nur meine unglaubliche Erfahrung einbringen.“

Das war der entscheidende Punkt, wie Preetz erklärte, warum er Rehhagel aus dem Ruhestand wieder in die Bundesliga zurückholte. Der Manager sprach bereits am Samstagabend nach der 0:1-Niederlage gegen Borussia Dortmund von Rehhagels „Wahnsinnserfahrung“. Und Mittelfeldspieler Peter Niemeyer stellte ganz in diesem Sinne fest: „Mehr Erfahrung geht nicht.“

Zu seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz gehört natürlich auch die Station Hertha BSC dazu. In diesem Zusammenhang erinnerte er an sein erstes Bundesligaspiel, das er für die Blau-Weißen auf dem Platz bestritt. Ansonsten kann er wenig Motive aufdecken, die ihn an der Aufgabe in Berlin reizen.

Aber erstaunlicherweise nimmt die prekäre Lage von Hertha gar nicht so viel Raum ein an diesem Tag. Bizarr wirkt es geradezu, als Rehhagel darauf verweist, dass er natürlich die Entscheidung mit seiner Frau Beate abgestimmt habe, mit der er im nächsten Jahr bereits 50 Jahre verheiratet sei. Und daraufhin ergänzt: „Das ist doch einen Applaus wert, oder?“ Und tatsächlich klatschen einige.

Als demokratischer Diktator hat er sich an diesem Wochenende zum wiederholten Male bezeichnet. Und natürlich verliert er auch ein paar Sätze, um diesem Selbstbildnis gerecht zu werden. „Wenn einer von den Spielern die Regeln nicht beachten will, soll er es mir gleich sagen“, erklärt er streng. Und zum Selbstverständnis seiner Rolle gehört auch das: „Ich sage den Jungs, was auf dem Platz und außerhalb des Platzes wichtig ist.“

Nach 20 Minuten ist die Pressekonferenz beendet. Eine knappe Minute davon hat Preetz in Anspruch genommen. Dieses Verhältnis dürfte dem Manager auch künftig genehm sein. Erst einmal ist er aus der Schusslinie. Scheitert aber Rehhagel, muss wohl auch Preetz gehen. Immerhin hat er dann doch noch ein wenig für Unterhaltung gesorgt.