Multi weicht Marktmacht

Vor zehn Jahren hat Greenpeace Shell daran gehindert, seine ausgediente Nordseeöl-Plattform Brent Spar einfach zu versenken. Aber auch der laufende Betrieb der Bohrinseln sorgt weiter für Dreck

aus Hamburggernot knödler

In so einer Brühe möchte man nicht baden, geschweige denn leben. Ein jaucheartiger Schaum scheint auf der Wasserprobe zu schwimmen, die Greenpeace-Ölexperte Karsten Smid in einer Plastikflasche vor sich auf dem Tisch stehen hat. Smid hat sie wenige hundert Meter von der Bohrinsel Dunlin A aus der Nordsee gefischt, dort wo sich eine kilometerlange Ölfahne von der Plattform aus ins Meer zog. Was Smid und seine Mitstreiter bei Greenpeace zehn Jahre nach ihrer berühmten Brent Spar-Kampagne damit sagen wollen? – Es ist zwar schön, dass es uns gelungen ist, das Versenken ausgedienter Ölplattformen zu stoppen. Ein umweltfreundlicher Betrieb der Plattformen ist damit aber noch lange nicht gewährleistet. „Die alltägliche Verschmutzung durch die Ölförderung im Meer und die Ausbeutung weiterer unberührter Gebiete zeigt, dass die Ölindustrie auch nach Brent Spar nicht verstanden hat, wie sehr sie sich ändern muss“, sagt Christian Bussau von Greenpeace.

Am 30. April 1995 hatten Greenpeace-Aktivisten die ausgediente Öl-Verladeplattform geentert, um deren Versenkung in der Tiefsee nördlich von Großbritannien zu verhindern. Nach Angaben von Shell enthielt das 134 Meter hohe Ungetüm noch 100 Tonnen schwermetallhaltigen Ölschlamm und 30 Tonnen schwach radioaktive Salzablagerungen. Den Schrott und Müll auf den 2.300 Meter tief gelegenen Meeresgrund zu schicken, schien für Shell die einfachste Lösung zu sein. Eine Verschrottung an Land sei zu gefährlich. Der Untergang der Bohrinsel Piper Alpha 1988 habe die Meeresumwelt auch nicht beeinträchtigt, sekundierte die britische Regierung.

Zum Motiv der Besetzung sagt Bussau: „Es kann nicht sein, dass ein großer Konzern wie Shell seinen Schrott einfach in die Natur wirft.“ Besonders dann nicht, wenn der Bürger zur Mülltrennung und zum Recycling erzogen werden solle. Im übrigen sei es darum gegangen, einen Präzedenzfall zu verhindern. Immerhin schwammen damals rund 400 Ölplattformen in der Nordsee. Heute sind es 500.

Den Erfolg der Kampagne brachte ein beispielloser Boykott der Shell-Tankstellen, insbesondere in Deutschland, wo der Aufruf von vielen Organisationen und Politikern aller Parteien unterstützt wurde. Im Juni 1995 verkaufte Shell elf Prozent weniger Benzin als im Vorjahr. Die Tankstellenpächter, die Einbußen von bis zu 50 Prozent hinnehmen mussten, erhielten vom Konzern Liquiditätshilfen. Als Shell am 20. Juni schließlich nachgab, brachten sich Niedersachsen und Bremen mit ihren Werften für die Verschrottung ins Gespräch. Die Bohrinsel wurde jedoch nach Norwegen geschleppt und 1999 in einem Fjord zerlegt.

Weil die Ölförderung in der Nordsee ihren Zenit überschritten hat, rechnet Greenpeace damit, dass ab 2010 jährlich 20 Plattformen verschrottet werden müssen. Bis dahin werden sie nach dem Stand von 2002 täglich 1,3 Millionen Kubikmeter ölhaltiges Produktionswasser ins Meer leiten. Nach einer Rechnung der von den Anrainerstaaten gebildeten Oslo-Paris-Kommission zum Schutz des Nordost-Atlantiks (Ospar) ergibt das eine jährliche Ölmenge von 14.000 Tonnen. Aus der Erika, die 1999 die Küste der Bretagne verschmierte, flossen 17.000 Tonnen. Die Menge ist mit der Zahl der Bohrinseln gewachsen.

Dazu kommen Greenpeace zufolge das Öl aus Lecks und 300.000 Tonnen Chemikalien im Jahr. Und weil es zu schön ist, wenn die Petrodollars in der Kasse klingeln, sucht die Industrie nach neuen Lagerstätten. Im Visier sind die Lofoten vor Norwegen. Der Fischreichtum dieses Gebiets ernährt Seeadler, Kormorane und Papageientaucher. Statt ihr zu erlauben, „in immer sensiblere Meeresgebiete vorzudringen“, sollte die Politik der Industrie einen Riegel vorschieben, fordert Greenpeace. Damit sich das übernutzte und vergiftete Meer erholen könne, müsse auf 40 Prozent der Nord- und Ostsee das Fischen, Bohren, Fahren und Energie erzeugen ganz oder teilweise verboten werden.