Schlafende Visionen

Bundestrainer Greg Poss wollte der deutschen Eishockey-Auswahl Offensivgeist einhauchen, sieht sich aber mit Beginn der WM in Österreich dazu veranlasst, die Luft wieder herauszulassen

AUS WIEN CHRISTIANE MITATSELIS

Kasachstan, Kasachstan, Kasachstan – Greg Poss, der smarte Eishockey-Bundestrainer aus den USA, bereitet sich stets mit viel Akribie auf seine Spiele vor. Die Aufstellung der Mannschaft aus der ehemaligen Sowjetrepublik kann er inzwischen vermutlich im Schlaf herunterbeten. Zwar ist Kasachstan in der Welt des internationalen Eishockeys nur ein kleines Licht, aber eines, das Deutschland im ersten Spiel bei der Eishockey-Weltmeisterschaft in Österreich blenden könnte. „Ich denke nur an das Spiel gegen Kasachstan“, sagt Poss. Am Sonntagabend wird es ernst für den Coach, der das Amt im Oktober antrat.

Es ist das gleiche Verfahren wie in den vergangenen Jahren, zunächst gilt es, den Abstieg in die B-Gruppe zu vermeiden. Mit einem Sieg in Wien gegen Kasachstan hätte das deutsche Team den Klassenerhalt so gut wie sicher – und ihr Minimalziel erreicht. „Erst danach kann ich weitere Ziele formulieren“, sagt Poss. Natürlich würde er sich freuen, wenn sich seine Spieler bis ins Viertelfinale vorkämpfen könnten. Mut machten Poss jedenfalls die beiden vergangenen Testspiele gegen die USA.

Zwar kassierte Deutschland gegen die starken US-Boys in dieser Woche zwei Niederlagen (2:3 in München, 1:3 in Rosenheim), in beiden Fällen sei das deutsche Team aber „nah an einem Sieg dran gewesen“, findet Poss. Bei der WM 2004 war – noch unter der Regie von Hans Zach – in Prag ein mühsames 4:2 gegen Kasachstan gelungen. Später, nach dem verpassten Viertelfinale und der Kritik an seinem defensiven Verhinderungs-Eishockey, war Zach zurückgetreten.

Poss’ selbst definierte Mission bestand ursprünglich darin, den deutschen Kufenflitzern ein offensiveres und attraktiveres Spiel zu verordnen. Das sollte klappen, meinte der ambitionierte Trainer, trotz der läuferischen und technischen Limitiertheit vieler deutscher Profis.

Inzwischen tritt Poss zurückhaltender auf. Sein System hat er gründlich modifiziert. Das wurde bei den beiden letzten Testspielen gegen die USA klar, in denen die deutsche Mannschaft zwar aggressiv spielte, sich aber phasenweise weit zurückzog. „Wir spielen verschiedene Varianten. Wir können aggressiv mit zwei Stürmern forechecken oder nur mit einem – je nach Ergebnis, Gegner und Kraft“, sagt Poss.

Poss gibt zu, dass die Mannschaft bei ihren ersten Offensivversuchen „dem Gegner ins offene Messer gelaufen“ sei. In den Länderspielen im November und im Februar gewann Deutschland nur eine von acht Partien. Franz Reindl, Sportdirektor des Deutschen Eishockey-Bunds (DEB) freut sich über den Lernprozess: „Greg Poss hat auf die Spieler und die Gegebenheiten reagiert und der Mannschaft nicht einfach ein System übergestülpt, sondern einen Mittelweg gefunden. Dadurch sind wir für den Gegner unberechenbar.“

Deutschland kann in Österreich viele der besten Profis nicht aufbieten. So fehlen die verletzten NHL-Spieler Marco Sturm und Olaf Kölzig.

Im zweiten Vorrundenspiel tritt die DEB-Auswahl gegen Tschechien an. Während die kasachischen Profis vor allem in der russischen Liga ihr Geld verdienen, schickt Tschechien seine NHL-Stars nach Österreich. Stürmer Jaromir Jagr ist dabei, Torhüter Tomas Vokoun, Verteidiger Frantisek Kaberle. Die Vorrunde endet für Poss’ Team mit einer Partie gegen die Schweiz und der Gelegenheit zur Wiedergutmachung für das 0:1, das Deutschland 2004 in der Zwischenrunde kassierte. Ein Sieg gegen die Schweiz wäre zudem hilfreich, Rang acht in der Weltrangliste zu verteidigen, der über die Qualifikation für Olympia 2010 und die WM-Gruppeneinteilung entscheidet. Die Schweizer liegen im Ranking als Neunter knapp hinter den Deutschen.

Ansonsten wird in Österreich auf Grund des NHL-Streiks eine hohe Superstardichte herrschen. Nicht nur Tschechien, auch Titelverteidiger Kanada mit Profis wie Dany Heatley, Russland mit Ilja Kowaltschuk, die USA mit Mike Modano und die Slowakei mit Pavol Demitra – sie alle schicken sie ihre Besten nach Österreich. „Das wird die beste WM aller Zeiten“, glaubt Poss. Wenn erst einmal Kasachstan geschlagen ist, wird auch der Bundestrainer das Turnier genießen können.