Aus dem Schatten der Diven getreten

Gemessen werden sie stets an den großen Stimmen ihrer Länder: die portugiesische Sängerin Mariza und ihre kapverdische Kollegin Lura. Dabei haben die beiden in Lissabon lebenden Sängerinnen längst zu ihrem eigenen Stil gefunden

VON KNUT HENKEL

„Wenn ich eine Platte sehe, an der Jacques Morelenbaum mitgewirkt hat, dann kaufe ich sie mir“, gesteht Mariza. Lange hatte die portugiesische Sängerin davon geträumt, mit dem brasilianischen Cellisten und Produzenten zusammenzuarbeiten, der schon mit Größen wie der Bossa-Legende Antonio Carlos Jobim, Ryuichi Sakamoto und Caetano Veloso im Studio stand. Logisch, dass sie sich unbändig freute, als Morelenbaum zusagte, ihr drittes Studioalbum, „Transparente“ (EMI), zu produzieren.

Nur logisch erschien es ihr auch, für die Aufnahmen nach Brasilien zu reisen: „Wir hatten dort mehr Freiraum und konnten uns ganz auf unsere Arbeit konzentrieren. Denn niemand wusste, dass ich dort war“, erinnert sich die 28-Jährige. In ihrem Heimatland Portugal ist sie schließlich längst ein Star, der nicht mehr unerkannt die Straße entlanglaufen kann. Und seit ihrem Album „Fado Em Mim“, mit dem sie sich international vorstellte, und dem Nachfolger „Fado Curvo“ wird sie als Nachfolgerin der verstorbenen Fado-Diva Amália Rodrigues gehandelt.

Ein Vergleich, der Mariza eher auf die Nerven geht, denn: „Ich bin eine andere Person, lebe in einer anderen Zeit, habe andere Überzeugungen.“ Mariza will an ihrer eigenen Arbeit gemessen werden, nicht an irgendwelchen Vorbildern. Und deshalb tanzt „Transparente“ aus der Reihe der modernen Fado-Variationen.

Dass der Ausflug nach Rio de Janeiro Mariza auch neue Inspiration gebracht hat, ist nicht zu überhören. Ob beim Titelstück „Transparente“ oder „Mal-Me-Quer“, die brasilianischen Einflüsse sind unüberhörbar. Und auch das Wirken von Jacques Morelenbaum beschränkt sich nicht allein auf sein Spiel am Cello. So wartet „Há Uma Música Do Povo“ mit einem kompletten Orchester auf – für den traditionellen Fado, der meist mit einer begleitenden Gitarre auskommt, ist das genauso ungewöhnlich wie die Streicher bei vielen der 14 Stücke. Die sind zudem oft heiter und fröhlich angehaucht statt im klassischen Sinne schwermütig und schmerzvoll, wie es die Tradition beim Fado ist.

Dieser Tradition fühlt sich Mariza ohnehin nicht verpflichtet. Zwar trägt sie das Image einer legitimen Fado-Erbin wie eine zweite Haut. Die aber soll nicht zwicken, sondern atmen und elastisch sein. Und deshalb setzt sich Mariza konsequent über vermeintliche Vorgaben hinweg. Und erweitert den Kanon des Fado, ohne das lautstark für sich in Anspruch zu nehmen.

Der Übermutter der kapverdischen Musik, Cesária Évora, hat Lura viel zu verdanken. Schließlich lud die „barfüßige Diva“ sie einst höchstpersönlich ein, mit ihr auf Tournee zu gehen, und ebnete Lura so den Weg zu einem großen Publikum. „Wichtiger war allerdings ihre Hilfe, um meinen eigenen Stil, meine Art, zu singen, zu finden“, meint die 30-jährige Lura heute.

Ihren eigenen Stil hat die Sängerin aus Lissabon mit ihrem dritten Album, „Di Korpu Ku Alma“ (Lusafrica/Sunny Moon), nun endgültig gefunden und hat damit auch in der elterlichen Heimat Erfolg: Auf den Kapverden führte die CD im letzten Jahr monatelang die Charts an, ein Erfolg, mit dem Lura kaum gerechnet hätte, denn von ihrer Stimme war sie als Teenager früher nie so recht überzeugt. „Ich fand sie zu rau, zu trocken und zu tief.“ Das legte sich erst, als sie mit 21 Jahren begann, mit befreundeten Musikern zu arbeiten, und ihre erste CD aufnahm.

Als Einwandererkind in Lissabon aufgewachsen, begann Lura erst mit 14 oder 15 Jahren, Kreolisch zu lernen. Der Grund dafür war einfach: „Meine Mitschüler sagten mir, dass ich es lernen muss, wenn ich weiter mit ihnen zusammen sein wollte.“ Und das wollte die Tochter eines Maurers, die in einem von kapverdischen Migranten geprägten Viertel der portugiesischen Hauptstadt lebt. „Damals begann ich, meine Heimat und meine Herkunft zu entdecken.“

Heute singt Lura nicht nur alle ihre Songs auf Kreolisch, sie beherrscht inzwischen auch einige der typischen Percussionsinstrumente der Inselgruppe und ist oft auf dem vor der westafrikanischen Küste gelegenen Archipel anzutreffen. Dort schöpft sie die Inspiration für ihre Stücke, die sie auch selbst komponiert. „Auf den Kapverdischen Inseln lebt der größte Teil meiner Familie, und von deren Alltag handeln viele meine Stücke“, sagt Lura. So erzählt der Song „So um cartinha“ etwa von der Angewohnheit kapverdischer Emigranten, ihren Verwandten, die in Lissabon auf Besuch sind, alles Mögliche zum Mitnehmen aufzunötigen.

Lange bevor Lura durch eine Reihe von Zufällen dazu kam, ihre erste CD aufzunehmen, arbeitete sie als Schwimmlehrerin; später stellte sie sich bei einer Theatergruppe vor und blieb zwei Jahre. „Meiner Bühnenpräsenz hat das sicher nicht geschadet“, kommentiert sie kokett. Auf der Bühne fühlt sich die Sängerin heute in ihrem Element, flirtet mit dem Publikum und lotet alle Facetten ihrer Stimme aus: Dass sie dabei ihren Spaß hat, kann man unschwer der DVD entnehmen, die ihrem Album beiliegt.

Ihre Bühnenpräsenz hat sie sich auch bei Cesária Evora abgeschaut. „Sie ist eine echte Lady, die vielen Künstlern von den Kapverden den Weg geebnet hat“, sagt Lura respektvoll. Allerdings unterscheidet sich ihr souliger, vom Jazz beeinflusster Stil beträchtlich von den Balladen der „barfüßigen Diva“.

Lura steht für einen anderen kapverdischen Sound: Die fast schon sprichwörtliche Melancholie vieler kapverdischer Interpreten tritt bei ihr in den Hintergrund – zugunsten von Einflüssen aus Soul, Jazz, Pop und portugiesischer Musik, die sie neben jener von den Kapverden privat besonders gerne hört. Druckvoll und abwechslungsreich ist das Gros der 13 Stücke auf „Von Körper und Seele“. Nur der Reggaeeinschlag, der auf ihren ersten zwei Alben zu hören war, ist inzwischen verflogen.