Erinnerungsarbeit mit Gedächtnislücken: Immer noch will man wenig von den mitlaufenden Chören wissen

Am heutigen Montag beginnt eine Gedenkwoche, mit der die evangelische Domgemeinde in Bremen an das Kriegsende vor 60 Jahren erinnern will. Zum Programm zählen Ausstellungen, Diskussionen, Lesungen und Konzerte (www.bremerdom.de). Zum Abschluss der Gedenkwoche am 8. Mai – dem Tag der Befreiung – wird der Bremer Domchor gemeinsam mit Musikern aus den Bremer Partnerstädten Danzig und Riga Benjamin Brittens „War Requiem“ aufführen.

Dass der Domchor auch tiefbraune Flecken in seiner fast 150-jährigen Geschichte hat, dokumentiert obiger Artikel. Die Archivrecherche von Gerhard Harms markiert dabei auch eine Forschungslücke. Denn während die Kunst-Zensur der Nazis schon seit langem Gegenstand der Forschung ist, und das Feld der so genannten „entarteten Musik“ weitgehend abgesteckt wurde, sind die Geschichten von den zur Kollaboration bereiten Ensembles noch weitgehend ungeschrieben. Das gilt insbesondere für die meist durch Laien getragenen Chöre – und dort nach Auskunft des Deutschen Sängermuseums vor allem für die geistlichen Vokal-Ensembles.

Großzügig übergangen wird die einschlägige Zeit gern bei Berichterstattungen über die großen Traditionschöre. Das führt zu einer befremdlichen Nivellierung: So lobt etwa der MDR den Leipziger Thomas-Kantor Günther Ramin (1898–1956), ihm sei es „zu verdanken, dass der Thomas-Chor nach dem Zweiten Weltkrieg an seine einzigartige Geschichte anknüpfen konnte“. Tatsächlich übte Ramin sein Amt schon seit 1939 aus – nachdem sein Vorgänger und Lehrer Karl Straube zum Rücktritt gezwungen worden war.

„Das Wichtigste beim Chorleiter ist nicht seine Technik, sondern seine Gesinnung“ – dieser Satz stammt von Kurt Thomas, dem Schöpfer des durch den Bremer Domchor 1938 uraufgeführten Blut-und-Boden-Oratoriums „Saat und Ernte“. Der 1947 als Mitläufer klassifizierte Musiker aus Tönning in Schleswig-Holstein konnte im Adenauer- und auch Ulbricht-Deutschland bruchlos seine Karriere als Komponist, als Thomas-Kantor in Leipzig und als Professor an den Musikhochschulen in Detmold und Lübeck fortsetzen. taz