Der Erlöser

Florian Horwath hat keine Angst vor Kitsch. Mit „We Are All Gold“ hat er ein Debütalbum herausgebracht, das Gutes tut und wunderbar ist. Ein Porträt

„Die Songs waren einfach da, und ich habe eher zugehört als sie zu lenken“

VON THOMAS WINKLER

Fremde umarmen sich. Menschen, die sich niemals zuvor getroffen haben, sehen sich minutenlang tief in die Augen. Andere, die sich kaum kennen, streicheln sich verträumt über die Wangen und tanzen miteinander ins Licht. Es ist weder ein Treffen der anonymen Alkoholiker noch ein psychotherapeutisches Experiment, von dem Florian Horwath erzählt. Es handelt sich auch nicht um seine Vision vom Paradies. Vorerst waren es nur die eben abgeschlossenen Dreharbeiten für den Videoclip zu seiner ersten Single „When The Light Came Around“.

An diesem Tag des Videodrehs war Florian Horwath ein glücklicher Mensch. Beobachtete die Statisten und Darsteller, die Freunde und Unbekannten, und war „überwältigt“ von der Harmonie und der „sinnbildlichen Kraft“ dieser Begegnung unter Fremden. Noch glücklicher wäre er, würde sein demnächst erscheinendes Debütalbum „We Are All Gold“ dazu beitragen, dass dieses Erlebnis „auf einer größeren Ebene und im übertragenen Sinne passieren könnte, dass eine Verbindung hergestellt wird zwischen den Menschen, dass man sich findet“. Tatsächlich strahlt Florian Horwath sehr vorsichtig und gar nicht unangenehm – aber doch merklich – etwas Erlöserartiges aus.

Vielleicht liegt es ja daran, dass Horwath aus Österreich stammt, jenem „Land in Zeitlupe“, wie es Farin Urlaub unlängst nannte. Vielleicht liegt es daran, dass Horwath Gitarre und Klavier weitestgehend autodidaktisch und damit eine gewisse Demut erlernte, vielleicht daran, dass er immer freundlich lächelt, oder auch daran, dass „We Are All Gold“ zwar seine erste Platte ist, er aber mit 32 Jahren bereits mannigfaltige Erfahrungen als Radiomoderator, Jurastudent, DJ oder Konzertveranstalter gesammelt hat.

Auf jeden Fall kann der Tiroler, der über Wien vor drei Jahren nach Berlin kam, sich laut fragen: „Was kann man der Welt Gutes tun?“ Und ohne rot zu werden antworten: „Die Heilung kann nur von innen kommen, da muss man bei sich selber anfangen.“

Wenn sein Album ein Indikator dafür sein sollte, muss man feststellen, dass Florian Horwaths innere Heilung weit vorangeschritten zu sein scheint. „Keine Angst vor Kitsch“ habe er, sagt Horwath, und man muss ergänzen: Keine Angst vor gar nichts.

Die Single „When The Light Came Around“ kombiniert die kalifornische Glückseligkeit der späten Sixties mit der Naivität eines Kinderliedes, „Johnny“ treibt sich herum in der elegischen Weite der Americana, „Clear Night for Love“ ist entspannter Singalong-Pop mit einem verhuschten Saxofon im Hintergrund, in „Not Half Away“ imitiert ein Straßenmusiker einen Gospelchor, „The Birds“ wartet ganz unironisch mit einer Melodie wie von – eben – den Byrds auf, aber ersetzt die Rickenbacker-Gitarren mit einer geradezu asthmatischen Orgel, „Loss Trainingcamp“ versöhnt Fifties-Fingerschnipsen und Ilse-Werner-Kunstpfeifen zu einer unbeschwerten Lagerfeuergitarrenhymne, in „This Is All I Need To Know“ treffen Entäußerung und Minimal-Art aufeinander, wenn sich Horwaths Stimme an der Krächzgrenze um einen einzelnen, monoton immerzu wiederholten Klavierton windet. Trotz aller disparaten Anspielungen und Zitate erscheint „We Are All Gold“ zwar mitunter eklektisch, aber auch wie aus einem Guss. Die verschiedenen Einflüsse und Stile stehen nicht isoliert nebeneinander und werden einzeln durchexerziert, sondern wie selbstverständlich miteinander verschmolzen.

Nun kann also, gesteuert von Louisville Records, dem neuen Label von Patrick Wagner, der dereinst schon für seine alte Firma Kitty-Yo mit Maximilian Hecker den ersten romantischen Jungmann aus Berlin auf den Weg brachte, die Heilung der Restwelt beginnen. Und man kann ja mal träumen, vor allem wenn diese Träume einen so wunderbaren Soundtrack haben, der weder den hibbeligen Oberflächenglanz der neuen Mitte noch das sorgsam gepflegte, raubeinige Metropolenimage des hauptstädtischen Undergrounds illustrieren will. Sollte der zugegebenermaßen überaus unwahrscheinliche Fall eintreten und „We Are All Gold“ würde für Frieden unter den Menschen sorgen, dann allerdings würde unser österreichischer Messias nur den geringsten Anteil an diesem Erfolg für sich reklamieren. „Die Songs sind gekommen“, verkündet er geradezu gleichnishaft, „und dann waren sie da, und ich habe eher zugehört als sie in eine Richtung zu lenken.“

Diese quasi spirituelle Herangehensweise setzte sich bei den Aufnahmen fort: „Alles wurde total analog und live eingespielt. Mir war wichtig, mit den Songs da zu sein und die sofort aufzunehmen.“ Dazu schloss sich Horwath mit zwei befreundeten schwedischen Musikern aus dem Umfeld von A Camp, dem Bandprojekt der Cardigans-Sängerin Nina Persson, in einem Scheunenstudio im hohen Norden ein und versuchte, „die Songs selbst machen zu lassen“. Es war ein Experiment sagt er, den anderen, die er aber immer noch Musiker und nicht etwa Jünger nennt, so viel Vertrauen zu schenken, dass die seinen Stücken, die bekanntermaßen ja nicht eigentlich die seinen sind, ebenfalls „die größtmögliche Freiheit bieten“.

Das Ergebnis ist, auch ganz ohne religiöse Heilserwartungen oder andere übertriebene Interpretationen, ganz wundervoll geraten. Es nimmt den Hörer in den Arm, lässt ihn träumen und ein wenig traurig sein. Denn in Songs wie „Golden Teeth“ oder „Not Half Away“ geht es auch ums Älterwerden, aber Trost ist niemals weit: Bei Horwath werden die Zähne mit dem Alter eben nicht gelb, sondern golden, und das ist doch ein tröstlicher Gedanke. Es ist Pop, der sein Publikum und dessen Gefühle ernst nimmt. „Zynische Musik“, sagt Florian Horwath, „ist mir im Moment egal.“ Und jetzt schnell den nächstbesten Menschen umarmen. Das macht glücklich.

Florian Horwath: „We Are All Gold“ (Louisville/Universal). Heute, 21 Uhr, Record-Release-Party in der Zentralen Randlage, Schönhauser Allee 172