Fußballfatalismus

Beim Kellerduell in Bochum zeigt Mainz 05 den Zuschauern einmal mehr einfachsten Systemfußball, schießt den heimischen VfL mit 6:2 ab und minimiert dessen Chancen auf den Klassenerhalt

AUS BOCHUM CHRISTOPH SCHURIAN

„Ich weiß zur Genüge, wie das ist, wenn man das, was man sich gewünscht hat, nicht bekommt.“ Jürgen Klopp bewies in Bochum schon einmal den Charme des frisch gebackenen ZDF-Fußballexperten. Während des Spiels hatte der Mainzer Trainer die Leiden seines Pendants Peter Neururer aber eher vergrößert: Wie eine Fußballraupe Nimmersatt trieb Klopp sein Team schäumend nach vorne. Aber gegenüber Kollege Neururer war Mitleid nicht angebracht: Der Ruhrpott-Coach hatte genau das bekommen, was er zuvor erwartet hatte: „90 gnadenlose Minuten“.

Wirklich gnadenlos wurde es zwar nur 30 Minuten lang – aber die waren die schmerzhaftesten der jüngeren VfL-Vereinsgeschichte: Nach der 60. Minute nahm Bochum nicht nur fünf Gegentore hin und die Demontage des Ersatztorwarts, auch der wieder erstarkte Glaube an den Klassenerhalt wich einer dumpfen Ratlosigkeit vorm endgültigen Gang in die Zweite Liga. Selbst Neururers Sprachkapriolen schienen keinen Weg zu weisen: „Höhere Mächte“ seien nicht am Werk gewesen, aber ein „fußballerischer Fatalismus“.

Schicksalsergeben hatten seine Spieler die Partie gegen den Aufsteiger begonnen. Vom Anpfiff weg bewies die „Klopper-Truppe“ aus der Rheinpfalz, warum sie zur Lieblingsmannschaft der Fußballanalysten wurde: Mainz 05 spielt ein auch für Zuschauer klar erkennbares System, die Mannschaftsteile greifen vertikal und horizontal ineinander, der Aktionsraum wird verdichtet, was dem wendigen Direktspiel der Offensiven Antonio da Silva, Michael Thurk und Benjamin Auer entgegenkommt. Und genau in dieser Reihenfolge sprang der Ball durch die Reihen des FSV zur frühen Führung (Auer, 6.). Die überforderte Gegenwehr der VfL-Abwehr verhieß nichts Gutes.

Doch das Debakel ließ auf sich warten. Bochum erkämpfte sich eine Hand voll Torchanchen, eine gekonnte Doppelpassstafette brachte gar den Ausgleich durch Vratislav Lokvenc. Es war vor allem Edu, der einzige Bochumer, der in Sachen Kraft, Tempo und Leidenschaft auf Mainzer Niveau kickte, der sich immer wieder bis zur Grundlinie durchsetzte. Aber im Abschluss fehlte das Glück. Als die Videowand die Gladbacher 2:0-Führung zeigte, war klar: Bochum musste auf schutzlose Offensive setzen, die Hintermannschaft wackelte sich in die zweite Hälfte hinein.

Nur Bochums Martin Meichelbeck versuchte sich nach dem Spiel an einer sportlichen Analyse. Nicht zufällig beschrieb er das eigene Team als Negation des FSV Mainz, sprach nicht nur von dummen Kontern, sondern auch von „fehlender Kompaktheit“ des VfL: „Unsere Mannschaftsteile stehen zu weit auseinander.“ Leider fehlt es dem Psychologiestudenten Meichelbeck auf dem Platz oft an Übersicht.

Für Mainz wurde es ein Kinderspiel. Erst vergaloppierte sich Bochums zweiter Stopper Aleksander Knavs in der Offensive, und Thurk köpfte ungedeckt über Ersatztorhüter Christian Vander hinweg. Dann traf Fabian Gerber aus vollem Lauf und mit dem Schienbein. Und nun begann die Leidenszeit des Bochumer Ersatzkeepers: Da Silva schlenzte einen Freistoß in die Torwartecke des verdatterten Vanders. Minuten später grabschte der Vertreter des rot gesperrten Rein Van Duijnhoven vergeblich nach einem Aufsetzer. Die Fanchöre, die Vanders Auswechslung forderten, verkannten die Lage: Neururer konnte nicht mehr wechseln. Vanders Patzer waren elend anzuschauen, spielentscheidend waren sie nicht. Angebracht waren fatalistische Witze: Als die Videowand anzeigte, dass „bitte keine Gegenstände auf das Spielfeld geworfen werden sollen“, hieß es: Vor allem keine Bälle.

Die kapitale Pleite wird für Bochums Torwart, Team und Trainer nicht folgenlos blieben. Die Aufholjagd ist abgepfiffen, auch wenn Neururer noch rechnet. Doch selbst wenn der VfL in jedem der drei Abschiedspartien obsiegt, wird der Klassenerhalt irgendwie zur Frage an den „fußballerischen Fatalismus“.