Kritik am „Knallchargen“-Papier

Die Koalition streitet über den Stil der Kapitalismuskritik. Grünen-Chef Schmidt findet den Kurs der Sozialdemokraten „suboptimal“. SPD-Fraktionschef Moron: „Es muss auch mal zugespitzt werden“

AUS DÜSSELDORFANDREAS WYPUTTA

In der Kapitalismus-Debatte gehen Nordrhein-Westfalens Grüne auf vorsichtige Distanz zur SPD. Zwar teilten die Grünen die Kritik an einigen Großunternehmen und transnationalen Finanzgruppen „inhaltlich voll“, so der grüne Landesvorsitzende Frithjof Schmidt. Allerdings sei die „etwas biblische Rhetorik“ von SPD-Chef Franz Müntefering nicht Tonlage der Grünen – der oberste Genosse hatte international tätige Finanzinvestoren mit „Heuschrecken“ verglichen, die über Unternehmen herfielen. Über 70 Prozent der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsleistung werde von kleinen und mittelständischen Firmen erbracht, auf die die Kritik nicht zutreffe, sagt Schmidt.

Zuvor hatte auch die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, vor pauschalen Vorwürfen gewarnt: „Firmen müssen Gewinne machen dürfen, sonst gibt es keine Jobs“, meint sie. Die „berechtigte Debatte“ spiegele aber die „Gefühle vieler Menschen“, findet die grüne Landeschefin Britta Haßelmann.

Schmidt warnt dagegen, der Stil der Kritik könne bei der rot-grünen Wählerschaft Erwartungen wecken, die kaum umgesetzt werden könnten. Konkret forderten die Grünen seit über einem Jahr Lösungen zum Mindestlohn, zur Subventionierung der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, bessere Zuverdienstmöglichkeiten für Bezieher des so genannten Arbeitslosengelds II. „Monatelang wurde das von der SPD blockiert.“

Das derzeitige Vorgehen der Sozialdemokraten sei „suboptimal“, so Schmidt zur taz – und nennt besonders eine Liste der SPD-Bundestagsfraktion, die Münteferings Heuschrecken-Vergleich unterfüttern sollte und die Namen von Finanzunternehmen wie KKR, Carlyle, Saban Capital oder Blackstone nennt. Als Opfer der Aufkäufer nennt das fraktionsinterne Papier die Firmen Siemens Nixdorf, MTU oder Autoteile Unger (ATU). Doch scheint der hastig zusammengestellte Heuschrecken-Wisch voller Fehler zu sein: So habe sich die Zahl der Beschäftigten bei Siemens Nixdorf seit der Übernahme verdoppelt, sei die Zahl der ATU-Filialen von 390 auf 504 gestiegen, bemängelt nicht nur die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Bei Nordrhein-Westfalens Sozialdemokraten ist der Ärger um so größer: „Unerquicklich“ sei das Papier, dass „irgendwelche Knallchargen unautorisiert in die Öffentlichkeit lanciert“ hätten, so Edgar Moron, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, zur taz. „Das war mit uns, mit Ministerpräsident Peer Steinbrück, mit Landesparteichef Harald Schartau nicht abgesprochen.“ Die SPD wolle niemanden an den Pranger stellen. Münteferings Stil aber sei angemessen. „Wir müssen eine Sprache sprechen, die die Menschen verstehen. Da muss auch mal zugespitzt argumentiert werden können“ – der Vorsitzende der SPD-Landtagsabgeordneten setzt auf Mobilisierung der Stammwähler. Die Landtagswahl habe „Symbolcharakter“, CDU und FDP wollten „eine andere Republik“.

Dennoch habe die SPD die Kapitalismusdebatte keineswegs zu Wahlkampfzwecken inszeniert, versichert Moron treuherzig: „Die Leute haben einfach die Schnauze voll.“ Nicht nur die Bundesrepublik, ganz Europa stehe in der Tradition einer Wirtschaftsordnung mit „menschlichem, sozialem Antlitz“ – und nicht eines „menschenverachtenden Raubtierkapitalismus“. Seine Partei habe die Steuern gesenkt, den Kündigungsschutz gelockert, die Arbeitnehmer hätten auf Lohnerhöhungen verzichtet und längeren Arbeitszeiten zugestimmt. „Da ist es doch klar, dass irgendwann die versprochenen Arbeitsplätze eingefordert werden.“

brennpunkt SEITE 3, tazzwei