Senat brüskiert behinderte Menschen

Zehn Monate nach dem einstimmigen Beschluss der Bürgerschaft hat Bremen noch immer keinen Behindertenbeauftragten. Erst feilschte die SPD um Geld. Jetzt will es die CDU nicht bewilligen. Behindertenverbände sind empört

„Wir hätten bereits zum 1. 11. einen Behindertenbeauftragten haben können“

Bremen taz ■ Sie haben ihn gefordert, seit Ewigkeiten, die Behindertenverbände im Land. Er ist versprochen, seit Jahren, zumindest von der SPD. Und beschlossen, einstimmig von der gesamten Bürgerschaft, seit über zehn Monaten: Ein Landesbehindertenbeauftragter, der den Interessen behinderter Menschen bei allen Vorhaben der öffentlichen Hand frühzeitig und nachdrücklich Gehör verschaffen soll. Am heutigen 13. Bremer Protesttag gegen die Diskriminierung behinderter Menschen sollte er der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Nur: Es gibt ihn weiterhin nicht. Der Senat, der heute über die Stelle entscheiden sollte, hat das Thema erneut vertagt. Man sei sich noch nicht einig, teilte Bürgermeister Henning Scherf (SPD) Parlamentspräsident Christian Weber (SPD) mit.

Grund des „Abstimmungsbedarfs“ ist ein Streit über die Finanzierung der Interessensvertreter-Stelle. Die Bürgerschaft hatte einst beschlossen, dass nur ein Angestellter des öffentlichen Dienstes das Amt bekleiden dürfe – wohl in der Hoffnung, dass dessen Dienststelle diesen dann kostenfrei abstellen würde. Aus den Bewerbungsgesprächen, die das Bürgerschaftsprädisium Ende vergangenen Jahres führte, ging der Arbeitsrichter Hans-Joachim Steinbrück als Sieger hervor. Der weiß davon nichts: „Seit dem Bewerbungsgespräch habe ich nichts mehr gehört.“

Rechtzeitig die Ohren gespitzt hat dagegen Steinbrücks Dienstherr, Justizsenator Scherf. Der legte vor acht Wochen, als der Senat bereits einmal grünes Licht für die im Juli 2004 vom Parlament beschlossene Stelle geben sollte, sein Veto ein. Es könne nicht angehen, dass das aufgrund der vielen Kündigungsfälle sowieso gut ausgelastete Arbeitsgericht jetzt einen von zehn RichterInnen abgeben müsse, argumentierte er. Nach längerem Hin und Her gab der Finanzsenator schließlich nach. Zumindest einmal für das Jahr 2005 sollte das Justizressort die wegfallende Stelle ersetzt bekommen – obwohl es seine Personaleinsparquoten noch nicht erfüllt hat.

Das wiederum rief Widerspruch vonseiten der CDU hervor. Angesichts der „existenzbedrohlichen“ Haushaltslage Bremens, betonte Innensenator Thomas Röwekamp (CDU), sei die neue, gut besoldete Stelle eines Landesbehindertenbeauftragten „zumindest zu hinterfragen“.

Der Senat, kritisierte gestern der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte, Hans-Peter Keck, arbeite gegen das Parlament. Das sei eine „seltsame politische Kultur“. Der SPD-Sozialpolitiker Frank Pietrzok gab dem Koalitionspartner die Schuld. Die CDU habe „Probleme, zu dem zu stehen, was sie selbst mit beschlossen haben.“ CDU-Fraktionssprecher Michael Ihly versicherte dagegen, man sei weiterhin für einen Behindertenbeauftragten.

Grünen-Fraktionsvorsitzende Karoline Linnert sagte, wer ein neues Amt schaffe, müsse dieses auch im Haushalt absichern. Einen entsprechenden Antrag für den Nachtragshaushalt werde man unterstützen.

Kecks Stellvertreter Dieter Stegmann übte sich gestern noch in Optimismus. Man gehe davon aus, dass der Senat am heutigen Dienstag doch noch zu einer Einigung komme, sagte er der taz. Das Argument der prekären Haushaltslage lässt er nicht gelten. Wenn der Senat nach dem Bürgerschaftsbeschluss vom Juli 2004 zügig gehandelt hätte, so wäre die Stelle bereits lange vor der Kanzlerbrief-Pleite abgesegnet worden. „Wir hätten bereits zum 1. November einen Behindertenbeauftragten haben können“, so Stegmann. Für den Fall, dass der Senat doch nicht zu Potte komme, werde man „richtig auf den Putz hauen“. Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD), die heute Mittag vor den behinderten Menschen sprechen will, kann sich demnach auf einiges gefasst machen. Armin Simon