ausgehen und rumstehen
: Duftende Bäume im Innenhof und versaute Zeichnungen im NBI: Das erste Halbjahr ist um

Freitag. Staub lag auf der Bettdecke, die auf mir lag. Nach 40-tägiger Montage im Tonstudio hatte mich eine einwöchige Ohnmacht angewandelt. Erwachen ließ mich aber nicht, wie Lestat den Vampir, die Probe einer Hardrockband, sondern der Baum in meinem Innenhof, der sich zum ersten Mal in diesem Jahr entschloss zu duften.

Sehnsüchtige Erinnerungen an alle Sommer meines Lebens drängelten sich in meinem Bewusstsein, frühpubertäre, von Funpunk beschallte Schulferien leuchteten strahlend von fern her in meine sich berappelnde Seele. Augen auf, Sonnenschein, pling, pling. Und wohin jetzt mit der ganzen eingebildeten Vorfreude? Ach, na so was, schon klingelt das Telefon. „Wir machen heute eine Grillparty in unserem Büro.“

„Grillparty“ und „Büro“, das entspricht nicht grade dem Blauen, was ich mir grad noch vom Himmel versprochen habe, aber gut. Einmal jeden Sommer muss man halt unter mitleidigen Fleischesseraugen seine traurige Zucchini oder Tofuwurst runterwürgen, warum dann nicht gleich heute? Und warum nicht gleich heute die immer nur zu diesem Anlass rausgekramten Kleinkinder beobachten, die, rosig wie die Koteletts, bevor sie auf dem Grill verkohlt werden, ihrer ungewissen Zukunft entgegentorkeln? Apropos torkeln: Beim Grillen gibt’s weder Longdrinks noch Weinschorle, nur Bier. Hello, again, Bierdämmer, du räudiger Straßenköter unter den Räuschen!Was machen mit dem angesoffenen Abend? Ein Regengott ist gnädig, löscht den Grill und treibt die Gesellschaft aus dem Innenhof der Agentur in ein hoffentlich menschenwürdiges Nachtleben. „He,Taxi, einmal ins neue NBI!“

Das neue NBI wurde nur ein paar hundert Meter vom alten errichtet, in den Gemäuern der so genannten Kulturbrauerei, einem Komplex von Locations, über den der Name bereits alles sagt. Würde man einer mit Sprachgenie begabten Person die Aufgabe vorlegen, zwei deutsche Wörter zu finden, die, zusammengefügt, ein Kompositum von größtmöglicher Widerlichkeit ergeben, sie könnte wohl schwerlich etwas Grauenvolleres ersinnen als „Kultur“ und „Brauerei“.

Innen angekommen erwartet uns volkstümliche Elektromusik, welche auf ein Mädchen unserer Gruppe einen verrohenden Einfluss ausübt. Wildfremden Menschen steckt sie Servietten mit von ihr selbst angefertigten versauten Zeichnungen zu und behauptet, sie wären von mir. Ein paarmal gelingt es mir in letzter Sekunde, die Bilder mit ein paar Strichen zu verharmlosen, also zum Beispiel einen Penis in einen lustigen Hund zu verwandeln. Die Birne allerdings, zu der ich die nackte Frau umdeuten will, sieht noch viel schlimmer aus als die Frau. Ich fliehe, mein Gesicht rettend, ins Bett.

Samstag. Mich extra im Rio auf die Gästeliste gebettelt wie ein Idiot, dann aber doch nicht gegangen. Tschuldigung.

Sonntag. Den zum Volksfest verzärtelten 1. Mai wollte ich mit dem berühmtesten Zwillingspaar der Popkultur begehen. Es konnte aber nur die eine, weil die andere keine Sonne abkriegen darf. „Könnten wir dich nicht mit einem Sonnenschirm und einem Schleier auf einer Rikscha durch Kreuzberg fahren und du winkst den Demonstranten und rufst immer: ‚Ich bin auf eurer Seite! Vive la révolution!‘“? – zwecklos.

Zwischen der Sonne und dem Volk ist nach anfänglicher Euphorie des Kennenlernens auch schon ganz schön die Luft raus. In der Bahn sagt einer: „Es ist so heiß, ich könnte kotzen.“

Die Gruppe Katze singen auf dem Oranienplatz „Punks not Dead“, „It only smells funny“, antwortet wer, und Funny van Dannen stellt in der „Endart“-Galerie aus.

Da kommt Manuel Andrak rein, um mit arrogantem Wohlwollen die Bilder zu betrachten. „Ich kaufe das, das und das, ach was, ich kauf’ den ganzen Laden!“ Das erste Halbjahr 2005 ging wirklich sehr schnell rum.

JENS FRIEBE