SCHWEDENS SOZIALDEMOKRATEN SCHÜREN DIE ANGST VOR FLÜCHTLINGEN
: Kruder Fürsorgegedanke

„Sozialen Tourismus“ befürchteten die schwedischen Sozialdemokraten im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung vor einem Jahr. In letzter Minute wollten sie Übergangsregelungen einführen, um das Land vor einer Lawine BaltInnen und OsteuropäerInnen zu schützen, die es an die Fleischtöpfe im gelobten Wohlfahrtsstaat drängen könnte. Nicht einmal der Preis, sich als fremdenfeindlicher Populist zu outen, konnte damals Ministerpräsident Göran Persson in seinem Eifer stoppen. Eine Mehrheit des Parlaments ließ sich von seine Horrorgemälden dennoch nicht beeindrucken: Die Grenzen blieben offen – und die MigrantInnen kamen nicht. Sieht man vom schwedischen „Alkoholtourismus“ über die Ostsee ab, findet der einzig nennenswerte „soziale Tourismus“ ebenfalls in entgegengesetzter Richtung statt: SchwedInnen, die die billige Zahnbehandlung entdeckt haben, reisen nach Estland.

Fürsorge für den Bestand des Wohlfahrtsstaats hätte sie bei ihrer Forderung nach dem Dichtmachen der Grenzen geleitet, sagen die Sozialdemokraten jetzt. Dabei scheint es ich um den gleichen kruden Fürsorgegedanken zu handeln, der sich hinter der unter sozialdemokratischer Regierung seit zehn Jahren stetig verschärften Flüchtlingspolitik verbirgt – wie bei der unmenschlichen Behandlung apathischer Flüchtlingskinder: Sie geschieht nämlich nur zu deren Besten. Offen wagen es zwar weder der Ministerpräsident noch seine Flüchtlingsministerin zu sagen. Doch nur wenn Eltern oder Kinder der „Manipulation“ und „Simulation“ verdächtigt werden – was alle Ärzte für ausgeschlossen halten –, ist diese Art Umgang mit den Kindern zu verstehen. Ihnen das Bleiberecht zu verweigern, geschehe zum Schutz der Kinder, erklärt die zuständige Ministerin Barbro Holmberg ohne rot zu werden. Natürlich solle auch vermieden werden, dass ein „falsches Signal“ gesetzt werde. Wieder diese Angst: Geben wir nach, öffnen wir die Grenzen für eine Sturzflut von Menschen, die ihre Kinder zum apathischen Simulieren zwingen.

Dabei hat gerade Schwedens Sozialdemokratie hinsichtlich falsch verstandener Fürsorge genügend Leichen im Keller. Bis in die 50er-Jahre wurden hunderttausende von Frauen zwangssterilisiert. Natürlich zu ihrem Besten. Noch bis in die 90er-Jahre maßte Vater Staat sich an, allein zu wissen, was dem Kindeswohl entsprach, und nahm so viele Kinder ihren Eltern weg wie nirgends sonst in Westeuropa. Heute herrscht Verwunderung darüber, wie es zu dieser unmenschlichen Politik kommen konnte. Und doch werden dieselben Fehler wieder gemacht. REINHARD WOLFF