BEIM TANZEN
: Je älter, desto früher

Ich hatte mir vorgestellt, tanzend im Jetzt zu verschwinden

Beim Tanzen war es plötzlich wie in den neunziger Jahren. Während ich tanzte, fielen mir ständig Dinge und Sätze ein, aber doch mehr Sätze. Ich dachte daran, wie schön es eigentlich ist zu tanzen, und dass ich so lange nicht mehr getanzt hatte und dass das sehr wichtig ist, auch aus therapeutischen Gründen, und dass ich das schon tausendmal gedacht hatte.

Manchmal schaute ich zu C. hin. Sie war schlank und tanzte sehr gut. Bei ihr sah alles leicht und selbstverständlich aus. Vorhin hatte sie erzählt, dass es in Argentinien eine Billigdroge namens Paco gebe, die den Leuten das Hirn wegbrennt, wenn sie sie nehmen. Manchmal tanzte sie nah bei mir, sodass ich fast ihren Atem spürte.

Dann entfernte sie sich wieder. Oft war ihr Mund geöffnet, während mein Mund geschlossen war. Nur selten gelang es mir, mich beim Tanzen zu vergessen, also nicht ständig Sätze zu denken. Je älter man wird, desto mehr ist man früher. Mit zwölf hatte ich zum ersten Mal getanzt. Damals hatte ich eine idealisierte Vorstellung vom Tanzen. Ich hatte mir vorgestellt, tanzend quasi im Jetzt verschwinden zu können, aber leider gelang das nur selten. Stattdessen fühlte man sich unsicher und spürte, wie diese Unsicherheit das Tanzen infizierte. Darum bemüht, sich richtig zu bewegen, infiziert man die eigenen Bewegungen mit diesem Bemühen, nicht anders, als dieser Junge, den wir als Teenager verspottet hatten, weil er so überhaupt nicht tanzen konnte. Es fällt schwer, sich nicht ständig zu beobachten und im Kopf zu kommentieren. Die Anweisung, doch bitte schön nicht ständig während des Tanzens zu denken, führt auch zu nichts.

Im Tresor war das einfacher, weil da immer so viel Nebel war, dass man die anderen nicht sehen konnte. Ich zündete mir eine Zigarette an, ging zur Bar und sagte Sätze, die zuvor schon in meinem Kopf gewesen waren.

DETLEF KUHLBRODT