Und Ramona sah zu

„Sie gebrauchen rechtes Vokabular, den Taten fehlt aber ein politisches Ziel“

AUS FRANKFURT (ODER) ASTRID GEISLER

Die Stimmung ist besonders locker heute. Ramona P. hockt vor den Tischen der Kumpels. Sie trägt enge Jeans, ein kurzes Sonnentop. Jeder im Gerichtssaal darf ihren pinkfarbenen Tanga bestaunen, den gepiercten Bauchnabel, ihre solariumverbrannte Haut, während sie sich um die Freunde kümmert, die seit fast einem Jahr in U-Haft sitzen: Ob sie noch etwas Essbares organisieren solle bis zum Beginn der Verhandlung? Einen Döner vielleicht? „Ein halbes Schwein auf Toast“, blökt ein Kumpel aus dem Publikumsraum. Das kommt an, die Männer auf der Anklagebank lachen, dass ihre Muskeln wippen.

Es geht hier nicht um geklaute Lippenstifte oder eine Prügelei unter Halbstarken. Es geht um eine Gewaltorgie – ein Neonazi-Verbrechen, sagt die Staatsanwaltschaft. Den Angeklagten drohen bis zu 15 Jahre im Gefängnis.

Acht Wochen ist es inzwischen her, dass die fünf jungen Leute im Landgericht Frankfurt an der Oder ihre Versionen der Tat zu Protokoll geben sollten. Trotzig klang Ramona P., 25, damals. „An den ganzen Scheiß kann ich mich so genau nicht mehr erinnern! Sorry – so was hab ich auch noch nicht erlebt. Das war wie im schlechten Horrorfilm.“

Viel hat Ramona P. gesehen an jenem Morgen im vergangenen Juni, als die Discothek „B5“ schon dicht gemacht hatte, aber die Party noch weitergehen sollte für sie und ihre Clique. Sie saß auf der Couch neben ihrer Freundin Stephanie L., 20, in einer engen Ein-Raum-Wohnung im Plattenbauviertel Neuberesinchen. Die beiden waren den Kumpels gefolgt, die hier etwas „regeln“ wollten mit Bekannten – zugedröhnt mit Bier und Drogen. Die Frauen schauten zu, wie es so lief, gut zweieinhalb Stunden lang. Angeblich amüsierten sie sich nicht schlecht auf dem Sofa, lachten, feuerten an, während die Freunde das nackte Opfer schlugen, traten und vergewaltigten, mit allem, was sich dafür so auf die Schnelle in Küche und Bad fand. Messer, Suppenkelle, Klobürste.

Am Anfang, da sei die Stimmung „eigentlich super“ gewesen, berichtete Ramona P.: „Es waren halt nur alle besoffen.“ Am Ende pulste dem Opfer das Blut aus Kopfwunden, es rann aus seinem After vermischt mit Kot, Gunnar S. trug Brandmale eines Bügeleisens an Brust und Gesäß, Rippen waren gebrochen, der Darm war gerissen. Der 23-Jährige hatte Taubenkot gegessen, sein Erbrochenes aufgeleckt, Urin und Reinigungsmittel getrunken. Er war dem Tod nahe. Er musste sich wieder anziehen, er durfte gehen. Auch Ramona P. ging mit ihrer Freundin und deren Verlobtem Daniel K., 21, nach Hause. Niemand rief die Polizei, niemand den Arzt. Dass das Opfer nicht verblutete, war Zufall.

Wie ihr diese Stunden vorgekommen seien, wollte das Gericht später von Stephanie L. wissen: „Für mich war’s nicht o.k.“, sagte die junge Frau kühl.

Manchmal sitzen die Richter den Angeklagten gegenüber mit Mienen stumpf vor Ratlosigkeit, die Gesichter so bleich, dass man ihnen eine Kreislauftablette holen möchte oder wenigstens einen starken Kaffee. Woher kommt diese Brutalität? Was bringt diese junge Frauen mit lackierten Fingernägeln und blondierten Pferdeschwänzen dazu, solchen Widerwärtigkeiten zuzusehen? Müsste es nicht wenigstens eine außergewöhnliche Erklärung geben für diese beispiellose Tat?

Gunnar S. kannte die Clique nur lose, lief ihr in die Arme auf der Thomasiusstraße, einer vergessenen Ecke, wo die Plattenbausiedlung endet und man auf Baumarkt, Heizkraftwerk und die Schnellstraße dahinter blickt. Manchen Blocks ist kaum anzusehen, ob sie schon zum Abriss geräumt sind oder nur heruntergekommen, ihre Fassaden sehen aus wie wund. Man möchte sich nicht vorstellen, was dahinter noch so geschieht, aber nie bekannt wird, weil es Alltag ist hier. In der Thomasiusstraße 25 ließ eine Mutter im Juni vor sechs Jahren ihre Kleinkinder verdursten, die Nachbarn ignorierten die Schreie. Vor der Hausnummer 5 schnappten sich die Männer ihren Bekannten Gunnar S., „baten“ ihn hinauf.

Angeblich, weil er die Tochter eines befreundeten Taxifahrers vergewaltigt hatte, weil man das nicht durchgehen lassen konnte. Ein Gerücht? Weniger als das? Die 15-jährige Maria jedenfalls wusste den Richtern nichts Schlimmes zu berichten.

Gunnar S. war kein Erfolgreicher, ebenso wenig wie seine Peiniger. Ohne Beruf, ohne Plan, ohne Halt. Mit dem Unterschied, dass er früher bei den Punks herumhing. Die angeklagten Männer schlossen sich den Neonazis an. Der Staatsanwalt sieht darin ein Motiv. Die Täter hätten nicht nur aus purer Lust an Gewalt gequält, sondern getrieben von „einer auf tiefster Stufe stehenden menschenverachtenden dumpfen rechtsextremistischen Einstellung“.

Keiner der Anwesenden bestreitet, was Daniel K. brüllte, als das Opfer vor ihm kniete, nackt, auf allen vieren: „Du bist nicht arisch! Du bist weniger wert als ein Hund!“ Das Gericht hielt sich nicht lange auf mit den Sätzen des gescheiterten Maurerlehrlings, der zuletzt seinen Wehrdienst absolvierte. Vermutlich auch, weil aus dem Angeklagten dazu wenig herauszukriegen war. Ihm sei das „einfach bloß eingefallen, weeß ick nicht“, brummelte Daniel K. „Nicht arisch“ bedeute „nicht deutsch, und dass das nicht normal ist, wenn man ein kleines Mädchen sexuell belästigt“.

Gunnar S. ist deutsch, aber da waren die Kumpels nicht pingelig. Man hatte jemanden für wertlos erklärt, man durfte draufhauen nach Herzenslust. Dass sich gerade Ronny B., 29, und David K., 24, diese Chance nicht entgehen ließen, es scheint fast zwangsläufig, angesichts ihrer Vorstrafenregister. Warum aber unternahmen die Frauen keinen Versuch, ihre Freunde zu stoppen? Wieso türmten sie nicht wenigstens?

Die Richter haben Ramona P. und Stephanie L. genau das gefragt, immer wieder, stundenlang. Was sie hörten, waren Rechtfertigungen – Sätze, roh und so weit jenseits der Schamgrenzen, dass sie noch Wochen später im Gehörgang kreiseln. Wie viel davon darf man überhaupt in die Zeitung schreiben?

„Scheißende Angst“ habe sie durchlitten auf der Couch, sagt Ramona P. Ihre Freundin will sich „sogar das Pinkeln verkniffen“ haben aus Furcht vor den „ausgetickten“ Männern. Den Vorwurf, sie hätten trotzdem den Arzt rufen müssen, weist Ramona P. von sich: „Ich wusste nicht, dass er blutete, ich dachte, das ist Scheiße – wenn man jemandem etwas in den Hintern steckt, kommt normalerweise Scheiße raus!“ Und als Gunnar sich wieder angezogen hatte, sagt sie, da „sah man die Hautfetzen doch nicht mehr“.

Ramona P. und Stephanie L. haben keine Vorstrafen, sind nie als rechtsextrem aufgefallen. Wenn sie etwas mit den Haupttätern verbindet, dann ihre Lebensgeschichten. Geschichten, in denen die Angeklagten nicht nur Täter sind, sondern auch Opfer.

So beispiellos das Verbrechen an Gunnar S. erscheint, Fachleute wie der Berliner Politikwissenschaftler Michael Kohlstruck erkennen eine Reihe von Merkmalen wieder, die sie für typisch halten: Die Täter setzen Schlagworte aus der rechtsextremistischen Ideologie ein, „ihre Tat hat aber offensichtlich kein politisches Ziel“. Die Verbrechen werden meist aus einer Gruppe heraus verübt. Die Frauen stehen oft in Abhängigkeitsverhältnissen zu den Schlägern. Er kenne keinen Fall, wo die Initiative nicht von den Männern ausging, sagt Kohlstruck: „Hätten die Männer nicht das Niveau von Gewalt vorgegeben – von den Frauen wäre das nie gekommen.“

„Du bist nicht arisch!Du bist weniger wertals ein Hund!“

Kohlstruck beschäftigt sich am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin mit Rechtsextremismus und Jugendgewalt. Seiner Meinung nach ist der „Extremismus im Sozialverhalten“ der Täter typisch für solche Verbrechen. Es sind Verbrechen begangen von jungen Leuten aus „Übergangsszenen“ – kriminell, brutal, alkoholgetränkt. Szenen von Losern, Trinkern, Schlägern, jungen Leuten mit „erhöhten Moral- und Sozialisationsdefiziten“. Sie haben sich und ihre Biografien aufgegeben, lange vor dem 30. Geburtstag.

Ramona P. zum Beispiel. Ihr Vater trank, die Mutter war tablettenabhängig, der Stiefvater verging sich an dem Mädchen. Ramona P. musste ins Heim. Mit 15 wurde sie schwanger, das Baby kam zu Pflegeeltern, Ramona P. brachte ein zweites Kind zur Welt, ihre Ausbildung schaffte sie nicht. Auch die mitangeklagte Freundin stammt aus einer kaputten Familie, wurde als Jugendliche missbraucht. Als Beruf gab sie dem Gericht „Assistentin in einem Domina-Studio“ an.

Das psychologische Gutachten attestiert Ramona P. eine normale Intelligenz, aber schwere Persönlichkeitsstörungen, darunter eine „affektiv verflachte Haltung den Gefühlen anderer gegenüber“. Zu Stephanie L. notierte die Gutachterin, die „emotionale Schwingungsfähigkeit“ der 20-Jährigen wirke „vermindert“.

Stephanie L. und Ramona P. sehen nicht ein, wieso der Staatsanwalt ihnen Beihilfe zu dem Verbrechen vorwirft. Sie bestreiten, angefeuert oder gelacht zu haben. „Ich bin schuldig, weil ich keine Polizei gerufen habe“, sagte Ramona P. Sonst habe sie doch „nichts gemacht“.

Selbst umfassende Einsicht und Reue können fremd klingen, wenn sie kundgetan werden von einem wie dem Angeklagten Ronny B.: „Wat hier passiert is, dit is ein bisschen zu fett gewesen“, versicherte der 29-Jährige den Richtern. Er wolle sich „ganz herzlich entschuldigen“. David K. beteuerte, inzwischen tue ihm das Opfer wirklich Leid: Die Sache sei einfach „scheiße“ gelaufen.

Ihr Opfer haben die fünf nicht mehr gesehen seit jenem Morgen im Juni. Gunnar S. schleppte sich nach der Tat in seine Wohnung. Ein Freund fand ihn, der Schwerverletzte wurde notoperiert, ins Koma versetzt, bekam einen künstlichen Darmausgang.

Gunnar S. sagte nur vor einer Videokamera aus, seine Ärzte hatten gewarnt, ihn den Tätern nicht noch einmal auszusetzen. Die Öffentlichkeit bekam die Bilder nicht zu sehen. Bis heute leidet der junge Mann an Flashbacks, Alpträumen, Angstzuständen und körperlichen Schmerzen. Er hat Frankfurt verlassen, er wollte sich das Leben nehmen. Unlängst wurde Gunnar S. als schwerbeschädigt anerkannt. Er ist jetzt Rentner.