Bestechende Statistik

KORRUPTION Die Innenbehörde hat jahrelang mit zu niedrigen Angaben über Ermittlungsfälle operiert. Jetzt musste sie ihren Fehler eingestehen

„Ich muss eingestehen, dass hier ein Fehler passiert ist, und mich entschuldigen“

Innensenator Christoph Ahlhaus

Die linke Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider kann nur noch den Kopf schütteln. „Da hat die Qualitätskontrolle vollständig versagt“, urteilt die innenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion über eine Statistikpanne der Innenbehörde. Die musste jetzt einräumen, jahrelang mit falschen – und zu niedrigen – Zahlen über Korruptionsfälle in der Hansestadt operiert zu haben. An Vertuschung oder politische Schönrechnerei glaubt Schneider allerdings nicht: „Das war ein Fehler im System.“

Die Anzahl der Korruptionsdelikte im öffentlichen Dienst in Hamburg lag in den vergangenen fünf Jahren etwa doppelt so hoch, wie bislang offiziell behauptet worden war. 454 Fälle wurden von 2004 bis 2008 in der Kriminalstatistik ausgewiesen, tatsächlich waren es jedoch 904 Fälle. 450 waren rechnerisch unter den Tisch gefallen.

Der Grund dafür ist, dass es bei Korruption keine Opfer, sondern mehrere Tatverdächtige gibt: Den, der besticht, und den, der sich bestechen lässt. In der polizeilichen Kriminalstatistik aber wurden diese Ermittlungen als ein Fall geführt, auch wenn gegen mehrere Verdächtige ermittelt wurde. „Ich muss eingestehen, dass hier ein Fehler passiert ist, und mich entschuldigen“, so Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) zerknirscht. Allerdings handele es sich nur um einen Fehler bei der Erfassung: „Jede Straftat ist bearbeitet worden“, versicherte er.

Die größte Abweichung gibt es für das Jahr 2006. Statt 60 Fällen von Bestechung und Bestechlichkeit waren es tatsächlich 227 – ein Plus von satten 278,3 Prozent. Für das folgende Jahr hingegen muss die Statistik nur von 62 auf 69 Fälle korrigiert werden.

Korruptionsverfahren werden von der Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE) der Polizei bearbeitet. Darauf haben andere Dienststellen keinen Zugriff – verständlich, denn sie selbst könnten ja Gegenstand von Ermittlungen sein. Nun soll mit einem neuen Verfahren sichergestellt werden, dass die Anzahl der DIE-Ermittlungen ausgewiesen werde, ohne deren „besondere Sensibilität“ zu tangieren.

Aufgefallen sind die unterschiedlichen Fallzahlen bei der Beantwortung einer Anfrage der SPD-Fraktion. Die empört sich: „Bestechung ist kein Ladendiebstahl“, stellt Innenpolitiker Andreas Dressel fest. „Nur wer das Ausmaß des Problems kennt, kann es wirksam bekämpfen.“

Auf die gesamte Kriminalstatistik hat die Panne jedoch kaum Auswirkungen. Die Gesamtzahl aller Verbrechen in Hamburg liegt Jahr für Jahr bei etwa einer Viertelmillion. Durch die Korrekturen erhöht sie sich je nach Jahr lediglich um 0,03 bis 0,07 Prozent. SVEN-MICHAEL VEIT