: Statt Umsturz lieber Lifestyle und Service
Die Grünen sind reifer geworden. Genauso wie ihre Wähler. Wohl deshalb verzichten sie lieber auf Kapitalismuskritik
BERLIN taz ■ Privatkapitalistische Monopole, ausbeuterische Wachstumszwänge, Finanzspekulation, Umverteilungsmaßnahmen oder Kapitalinteressen – in den 80er-Jahren zeigten die Grünen keine Scheu, sich begrifflich bei der marxistischen Tradition zu bedienen. Geschult waren sie ja, denn viele hatten zuvor K-Gruppen angehört. Das galt nicht nur für die Fundis, sondern auch für nicht wenige der heutigen Realos.
Die Grünen könnten sich also in die aktuelle Kapitalismusdebatte kompetent einbringen. Doch sie überlassen das Thema weitgehend der SPD. Das passt zu den Wählern: Es sind zwar die gleichen wie damals – aber sie sind gealtert. Aus radikalen Studenten wurden gutverdienende Akademiker, die ihren 50. Geburtstag oft schon hinter sich haben. „Wer sein Eigenheim abbezahlt, hat andere Prioritäten als den Systemumsturz“, fasst der Kölner Politsoziologe und Grünen-Experte Markus Klein (35) zusammen. „Die Wähler wurden situierter – und die Partei eben auch.“
Also hat man die Klassengesellschaft programmatisch längst durch die „Wissensgesellschaft“ ersetzt, sind doch viele Grüne inzwischen Eltern von hoffnungsvollen Gymnasiasten. Und statt Kapitalismuskritik setzt man eher auf Lifestyle und Service. Das Wahlprogramm 2002 klang schon wie ein Führer durch die Grüne Woche: „Die neue Landwirtschaft – gesunde, sichere und schmackhafte Lebensmittel“.
Die Grünen-Klientel ist kaum noch vom Milieu der FDP zu unterscheiden und auch die programmatischen Überschneidungspunkte nehmen zu. „Oft sind nur die Begründungen anders“, stellt Klein fest. „Die Grünen sind gegen Haushaltsdefizite wegen der Generationengerechtigkeit, und die Liberalen fürchten den Crowding-out-Effekt, also höhere Zinsen für Unternehmen.“
Die meisten Fundis sind längst ausgetreten. „Jedenfalls alle Promis“, sagt Wilhelm Achelpöhler aus Münster selbstironisch, der einer der letzten grünen Linken ist. Am liebsten würde er jetzt das „Umbauprogramm von 1985 wieder rausholen“, das die „Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise“ gefordert habe. Aber er ist schon froh, dass man „Wörter wie Ausbeutung wieder in den Mund nehmen kann“. Auf großen Widerhall rechnet er nicht: „Wenn man eine antikapitalistische Rede auf dem Parteitag hält, dann haben zwar einige Tränen in den Augen, aber es gibt nur 20 Prozent Beifall.“
Es wird den Grünen „nicht unmittelbar schaden“, prognostiziert Klein, dass sie sich von der Kapitalismusdebatte fern halten. Schließlich bedienen sie damit ihre Anhänger. Einziger Nachteil: Es sind die Wähler einer Generation. Umfragen bestätigen immer wieder, dass die Grünen für die Jüngeren nicht attraktiv sind, die auf „alte Werte“ wie Leistung, Karriere, ökonomische Sicherheit und Familie setzen.
In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit werden Wirtschaftsthemen wichtiger, doch dort haben die Grünen kein Profil. Ihre Experten sind jenseits der Fachkreise nicht bekannt, und Joschka Fischer wiederum gilt nicht als Ökonom. Wahlforscher erkennen trocken ein „Kommunikationsdefizit“. Achelpöhler macht ähnliche Erfahrungen im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen: „Wir werben damit, dass wir das kleinere Übel von CDU und FDP sind. So können wir nicht überleben.“ULRIKE HERRMANN