Leben für die Maschine

DO IT YOURSELF Sieben Jahre hat Moritz Wolpert am Heckeshorn gebaut: Ein elektro-mechanisches Bottleneck-Musikinstrument mit Sequenzer. Am morgigen Samstag tritt er mit seiner Erfindung live im Eschloraque auf

Das Heckeshorn: elektrische Schaltzentrale und Bottleneck-Gitarrenmaschine in einem

VON JULIAN WEBER

Die Glocke stammt von den „Deutschen Telefonwerken“. Der Voltmeter war einmal in ein Gerät der Firma Mayer „Berlin N 39“ eingebaut. Er ist an die 100 Jahre alt. Glocke und Voltmeter liegen nicht etwa in einer Vitrine des Technikmuseums, sondern sind Teil des von Moritz Wolpert erfundenen Instruments Heckeshorn, für dessen Konstruktion er auch alte Werkzeuge benutzt. Aber, und darauf besteht der Künstler, sein Instrument ist ein Neubau. Seine eigene Erfindung.

Sieben Jahre baut Wolpert jetzt schon am Heckeshorn und immer wieder kommen neue Teile hinzu. Was als fixe Idee bei einem Aufenthalt in der Lungenheilanstalt Heckeshorn am Wannsee angefangen hat, trägt nun endlich Früchte. Bald wird er mit dem Heckeshorn im französischen Nantes bei einem Festival auftreten. Kürzlich führte er sein Instrument im Internet-TV auf der Homepage der Einstürzenden Neubauten vor.

Wolpert hat ein Faible für die Bautechnik des frühen 20. Jahrhunderts. „Damals wurden Maschinen noch mit Stolz gebaut, die haben einen Falz reingemacht, damit es wirklich auch eigenwillig wird. Durch den Funktionalismus wurde das dann beerdigt, was ich nachvollziehen kann. Trotzdem ist meine Sache dilettantisch. Alles wäre perfekter zu machen, aber das Heckeshorn konnte ich überhaupt nur als Dilettant bauen.“

Geniale Dilettanten

Geniale Dilettanten nannten sich in den frühen Achtzigern Berliner Bands wie Tödliche Doris oder Einstürzende Neubauten, die in Hohlräumen unter Autobahnbrücken auftraten oder mit zweckentfremdeten Bohrmaschinen expressionistische Lärmmusik erzeugten. Moritz Wolpert, der mit Punk sozialisiert wurde und dem Do-it-yourself-Gedanken als wichtige Handlungsanleitung noch heute folgt, war von dieser Szene so begeistert, dass er in den Achtzigern nach Berlin zog. Er spielte mit Neubauten-Mitgliedern in der Band Jever Mountain Boys.

Eigentlich wollte der gelernte Drummer aber eine mechanische Band auf die Beine stellen. Jahrelang tingelte Wolpert unter dem Namen Krupa Machine durch Berliner Clubs, ergatterte einen Job als Schlagzeuger für Meret Beckers Cabaret „Noctambule“ in der Bar Jeder Vernunft und spielte mit ihr mehr als 500 Konzerte. Irgendwann in dieser Zeit ist die Idee gereift, eine Musikmaschine zu erfinden. „Es war mühselig, ständig die Leute zusammenzutrommeln, und hohe Gagen gab’s auch nicht. Ich dachte, wie wär’s, wenn du dich selbst begleitest?“

Versteckt im Hinterhaus des Haus Schwarzenberg liegt Wolperts Atelier: Mehrere Werkbänke sind in Benutzung, die Lötkolben sind noch heiß, es riecht nach Kupferdraht. Riesige Zirkustrommeln sind bis an die Decke gestapelt. Das einzige Zeugnis der modernen Zeit ist ein 8-Spur-Mischpult. Über allem thront Buddha, der, gepaart mit der norddeutschen Gelassenheit des aus Bremen stammenden Wolpert, für entspannte Arbeitsatmosphäre sorgt.

Wenn es um die Anatomie seiner Musikmaschine geht, dann gerät der gelernte Tischler ins Schwärmen. „Jeden einzelnen Metallknopf hab ich selbst gefräst, das Holz habe ich aus einem Birnbaum herausgeschnitten, verleimt und mit einer Politur versehen. Die habe ich verdünnt und einfach aufs Holz geschüttet und sie zog ein wie Beize. Jo, und dann bin ich da noch mal mit Wachs drübergegangen.“

Das Heckeshorn besteht aus zwei Teilen: einem hölzernen Kastenungetüm mit vielen trompetenartigen Knöpfen und Kabeleingängen, im Innern Platinen und Verschaltungen – dieser Sequenzer ist einer alten Fernmelde-Schaltzentrale nicht unähnlich –, und einer Dampfmaschine, die sich bei näherem Hinsehen als Bottleneck-Automat mit selbstgewickelten Tonabnehmern entpuppt. Dieser Gitarrenhals steht auf dem Fuß einer Drehbank: Eingespannte Schlagzeugstöcke bespielen damit die Gitarrensaiten elektromechanisch. Über den Sequenzer werden sie angesteuert, durch aberwitzige Klangkanäle gejagt, beschleunigt oder verlangsamt.

Duracell-Hase in Dub

Es klingt, als würde der Duracell-Hase in den 1.000 Echokammern des Dub den Blues bekommen. Jeder Ton ist anders konstruiert und löst wieder einen neuen, noch schrägeren Ton aus. Zu diesen rhythmisch diffizilen Tontrauben läutet manchmal noch eine psychedelisch anmutende Glocke.

Mit dem Heckeshorn steht der 43-jährige Wolpert in einer illustren Ahnenreihe: Man denke an den Hindemith-Schüler Oskar Salas, dessen Trautonium aus den Fünfzigerjahren ein Vorläufer des modernen Synthesizers war. Salas hat es Wolpert so angetan, dass er sich dessen im Deutschen Museum in München lagernden Nachlass angesehen hat. Er spüre da eine Seelenverwandtschaft, sagt Wolpert.

Die Musikgeschichte ist voller genialer Erfinder. Erfolgreich waren nur die wenigsten von ihnen. Ihre Erfindungen haben sich oftmals erst viel später durchgesetzt. Ein Schicksal, das Moritz Wolpert erspart bleibt, weil er das Heckeshorn als Kunstprojekt versteht, das bildende Kunst und Musik zusammenbringen soll.

„Maschinenspielen hat für mich etwas Meditatives. Am meisten mag ich dabei die Konzentration. Wenn ich sie erreiche, kann ich so tief abtauchen, dass man die Spitze einer Nadel immer noch teilen kann. Dann kommt eine neue Spitze und ich gehe immer mehr ins Atom hinein.“

Die Glocke am Heckeshorn hat sich Wolpert übrigens von einem Glockenbauer neu gießen lassen. Sein nächstes Projekt steht auch schon fest: Wolpert will eine automatische Glockenorgel entwerfen.

■ Moritz Wolpert spielt das Heckeshorn live am 8. August im Eschloraque, Rosenthalerstr. 39, Beginn 21 Uhr, Besichtigung von 16 bis 19 Uhr www.mowolpert.de