Frisch von der Offbeat-Plantage Berlin: Dancehall mit Nosliw und ein quietschlebendiger Bob Marley mit der Lo-Fi Youthz

Vielleicht liegt’s ja am vielen Wasser, das zwischen den Häusern entlang schwappt. Vielleicht auch haben über die Jahre die Berliner Kleingärtner eine ungeahnte Könnerschaft im Hanfanbau erreicht. Vielleicht scheint auch einfach die Sonne immer zu stark. Auf jeden Fall ist es schon unheimlich, wie viel Reggae und Ska und Dancehall, eben alles, was Offbeat hat, aus der Hauptstadt kommt.

Selten allerdings hat bislang jemand so perfekt die jamaikanischen Vorlagen kopiert wie die Lo-Fi Youthz. Das Duo aus Produzent Lukas Leonhardt und Sänger Longfingah verlegt Kingston, so ungefähr im Jahr 1979, Bob Marley ist quietschlebendig und Lee Perry noch halbwegs bei Trost, kurzerhand aus der Karibik ins Märkische Land. Genug Sand gibt’s da und Strandbars mittlerweile ja auch, um so ein locker swingendes Rastaman-Feeling evozieren zu können. Für dieses Vorhaben haben Leonhardt und Longfingah bereits als Mitglieder von Wood In Di Fire reichlich Erfahrung sammeln können. Deren Ansatz allerdings, die Jazz-Vorlieben der Instrumentalisten im Offbeat zu verarbeiten, ist ein völlig anderer als der der Lo-Fi Youthz auf ihrem Debütalbum „Fly Over The Yard“: Hier wird so exakt wie möglich musikalisch den Originalen nachgeeifert, eine wie auch immer geartete lokale Handschrift ist getilgt. Also imitiert Longfingah gekonnt den Patois genannten jamaikanischen Slang, schleift der Beat schön gemütlich und die Bässe sind so breit wie Sly Dunbar und Robbie Shakespeare zusammen. Ab und an schiebt sich zwar zwischen die mächtigen Rhythmen mal eine vorwitzige Gitarre, um ein paar perlende Kurzsoli abzuliefern, und in „Come Along“ zieht das Tempo sogar per technoidem Maschinenbeat etwas an. Aber grundsätzlich gilt: „Fly Over The Yard“ ist im Vergleich zu einem Flug in die Karibik die preiswertere und ökologisch vorzeigbare Alternative.

Die Berliner Offbeat-Riege wird seit drei Jahren zusätzlich verstärkt vom gebürtigen Bonner Nosliw. Der heißt eigentlich Eric Wilson und besingt auf seinem dritten Album „Heiss & Laut“ über derben Dancehall-Beats schon mal „coole Jungs und heiße Bräute“ oder auch „den Duft süßer Ladys“. Doch interpretieren wir diese simple Übersetzung von Lover’s-Rock-Klischees mal als Ehrerbietung an die Vorbilder. Denn Nosliw kann auch anders, nämlich gemütlich schaukelnden Roots-Reggae und dazu Texte, die seiner mitteleuropäischen Lebenswirklichkeit angepasst sind. Also wettert der Afrodeutsche Wilson gegen „Dummheit und Ignoranz“ und hofft, dass bald mal „die letzte Nazikneipe brennt“. Und in „Angst ist deren Business“ liefert er auch noch eine hellsichtige Analyse der bundesdeutschen Gesellschaft inmitten der Finanzkrise ab.

Grundsätzlich aber ist „Heiss & Laut“ eine Partyplatte geworden, dominiert von verzögert stampfenden Dancehall-Rhythmen und einem Nosliw, der selbst, wenn es um kaum mehr geht als ums Feiern, ganz souverän mit der deutschen Sprache umgeht. Kurz: Mit dem Album ist er gut angekommen in seiner Wahlheimat, der Reggae-Stadt Berlin. THOMAS WINKLER

■ Lo-Fi Youthz: „Fly Over The Yard“ (Moanin’/Alive)

■ Nosliw: „Heiss & Laut“ (Rootdown/Soulfood)