Der Tod ist immer präsent

Der Fall Terri Schiavo hat auch die türkische Community Kölns nicht unberührt gelassen. Wenn auch die Meinungen über Sterbehilfe weit auseinander gehen, üben Muslime in der Frage Zurückhaltung

VON CILER FIRTINA

Mit Bedauern nahmen auch viele der in Köln lebenden Migranten aus der Türkei den tragischen Fall der Wachkoma-Patientin Terri Schiavo zur Kenntnis. Anlass zu einer öffentlichen Auseinandersetzung über die ethische und religiöse Vertretbarkeit passiver Sterbehilfe beim Tod der US-Amerikanerin hingegen sahen die meisten nicht – trotz der durchaus weit auseinander gehenden Ansichten in dieser Frage.

Hasan Deniz ist Rentner. Seine Zeit verbringt er gern mit Freunden in der Teestube der „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion“ (DITIB) in Ehrenfeld. Für ihn als gläubigen Muslim ist klar: „Nur Gott kann das Leben nehmen, das er gegeben hat. Wie die Eltern von Terri Schiavo hätte auch ich niemals mein Einverständnis gegeben. Ich hätte alles getan, um mein Kind, so lange es geht, am Leben zu erhalten.“ Bedrückt erzählt Hasan Deniz von einem Freund, der während einer schweren Krankheit „an Maschinen“ hing. „Seine Kinder entschieden, die Maschinen abschalten zu lassen, damit ihr Vater Ruhe findet. Ich hätte das nicht getan“, sagt er.

Auch die Theologin Zeynep Cesen stützt sich bei ihrer Haltung zur Sterbehilfe auf ihren Glauben. „Es ist ein sehr schwieriges Thema. Unsere Religion verbietet es uns, Leben zu nehmen. Müsste ich entscheiden, würde ich auf keinen Fall wollen, dass die lebenserhaltenden Geräte abgeschaltet werden.“

Als Leiterin der Frauenabteilung der DITIB begegnet ihr das Thema auch, wenn es um Schwangerschaftsabbruch geht. „Selbst wenn Untersuchungen ergeben haben, dass ein Kind schwer behindert auf die Welt kommen wird, darf man auf keinen Fall einen Abbruch erlauben“, erklärt sie entschieden. Sie ist davon überzeugt, dass auch Ärzte irren können und man die Hoffnung nie aufgeben darf. „Für die Türken in Köln ist die Sterbehilfe wahrscheinlich deswegen kein Diskussionsthema, weil unsere Religion das ganz klar nicht erlaubt.“

Der Glaube hat für Yeter Gültekin bei diesem Thema keine Relevanz. „Als der Koran geschrieben wurde, gab es keine medizinischen Geräte. Noch vor wenigen Jahren mussten Dialysepatienten oder Krebskranke sterben. Heute können sie bei rechtzeitiger Behandlung überleben. Das von Gott gegebene Leben würde enden, wenn es nicht die Apparate gäbe, mit denen der Mensch das Leben verlängert, das Gott nehmen will“, gibt sie zu bedenken. Die Deutschlehrerin meint, dass sich der theoretische Anspruch des Glaubens in der Realität nicht aufrecht erhalten lässt. „Wenn man etwa in der Türkei kein Geld hat, behandelt einen keine Klinik. Man wird zum Sterben nach Hause geschickt. Die Apparate werden abgeschaltet, weil sie zu teuer sind“, sagt sie.

Yeter Gültekin meint, sie würde sich bei dieser emotional und ethisch schwer wiegenden Entscheidung ganz auf die eigenen Werte stützen, die sie aus ihrer Kultur und deren Traditionen beziehe. Sie differenziert zwischen einer Entscheidung über das eigene Leben und einer Entscheidung für einen Angehörigen. „Eine Entscheidung über das eigene Leben fällt sicher vergleichsweise weniger schwer. Man muss abwägen, ob die Angehörigen die Behandlung tragen können, nicht nur finanziell, sondern auch emotional. Ob sie den Schmerz ertragen können, einen Menschen, den sie lieben, langsam und qualvoll sterben zu sehen. Ob sie die Kraft haben, einen Menschen rund um die Uhr über viele Monate und Jahre zu pflegen“, sagt sie.

Sie führt die Zurückhaltung ihrer Landsleute bei diesem Thema darauf zurück, dass in der türkischen Gesellschaft der Tod immer präsent sei. „Meine Großmutter hat zehn Kinder geboren, nur vier haben überlebt. Es sterben so viele Kinder an Mangelernährung, an einfachen Krankheiten, weil die medizinische Versorgung fehlt. Es sterben tagtäglich hunderte Menschen bei Verkehrsunfällen. In der Türkei ist das Überleben nicht selbstverständlich“, erklärt sie.

Selahattin Ayyildiz sieht es ähnlich. Für den seit 29 Jahren in Deutschland lebenden zweifachen Vater ist der Glaube zweitrangig. „Ich würde bei mir selbst den Tod einem künstlichen Leben vorziehen“, sagt er klar. Ayyildiz denkt an die Angehörigen. „Die Familie leidet ja mit. Meiner Meinung nach war es falsch, Terri Schiavo so lange mit Hilfe der Apparate leben zu lassen. Man hätte viel früher abschalten sollen. So hatte weder sie ein wirkliches Leben, noch ihre Familie.“

Mit seinen ethischen Maßstäben orientiere er sich nicht an der Religion, sagt Ayyildiz. Es sei zynisch, demjenigen, der eine so schwere Entscheidung treffen müsse, auch noch mit der Bürde der Sünde zu belasten. „Natürlich ist jedes Leben lebenswert und jeder hat das Recht zu leben – aber eben auch zu sterben“, bemerkt er und stellt fest: „Für uns aus der Türkei ist diese Diskussion um Sterbehilfe doch eigentlich recht exklusiv. Bei uns müssen so viele Menschen sterben, weil sie sich eine Behandlung einfach nicht leisten können. Wäre es da übertrieben zu sagen, dass das Gesundheitssystem schon Sterbehilfe leistet?“