Abendländische Werte

Fritz Fenzls Fotos der „Guernica“-Schau 1957 in der Kunsthalle bieten modische und politische Bizarrerien

Wenn sich Zehntausende drängeln, gelten Ausstellungen als erfolgreich und ziehen noch mehr Besucher an – eine typische Erscheinung der heutigen Eventgesellschaft, exemplarisch vorgeführt beim „MoMa in Berlin“. Und doch gibt es Kunstwerke, die heute niemand auf die Reise schicken würde. Undenkbar etwa, dass Picassos Schlüsselbild Guernica nach Hamburg käme.

Um so erstaunter war selbst Ulrich Luckhardt, Kurator der Kunsthalle, als er Ende der Achtziger Jahre erfuhr, dass das Bild schon 1956 im Obergeschoss des Altbaus gezeigt worden sei. Nachdem es auf der Biennale im brasilianischen São Paulo präsentiert worden war, tourte das acht Meter breite Werk, das für den spanischen Pavillon der Weltausstellung von 1937 den faschistischen Flugangriff auf die baskische Traditionsstadt anprangerte, damals durch Deutschland. Aufgerollt angeliefert, wurde es mittels einer Holzkonstruktion quer in den Raum gestellt, da sich keine passende Wand fand. Doch all dies musste aus erst aus der Erinnerung gehoben werden, es gab keine Dokumentation dazu.

Schließlich ist es aber gelungen, einen Fotografen zu finden, der im März 1956 in der Hamburger Ausstellung einen Nachmittag lang 271 Aufnahmen machte. Doch Fritz Fenzl dokumentierte nicht die Ausstellung, sondern die Ausstellungsbesucher. Und dieser umgekehrte Blick, die Sicht der Kunst auf ihre Betrachter, den die Kunsthalle derzeit unter dem Titel „Fritz Fenzl – Begegnungen mit ,Guernica‘“ zeigt, entpuppt sich nach fast 50 Jahren sozialgeschichtlich, kunsthistorisch und ästhetisch als höchst interessant.

Da zeigen ältere Damen mit dem Stock und grauhaarige Herren mit dem Hut auf die Bilder, suchen Hilfe im Katalog oder diskutieren in größeren Gruppen. Viele der Besucher wirken ratlos, manche scheinen sich zu amüsieren, während einige Männer mit Aktentaschen eher zufrieden dreinblicken. Eher indifferent blickt der junge Hark Bohm.

Nicht nur die Mode allerdings scheint heute befremdlich, auch die Attitüden gegenüber einer noch elf Jahre zuvor fanatisch bekämpften Kunst: „Ich habe das Gefühl, der Picasso veräppelt sein Publikum“, sagt ein Besucher im „Echo des Tages“ des NWDR. Die Tonquelle ist ebenso Teil der Dokumentation wie der Brief eines evangelischen Pfarrers, der noch ganz in der Diktion der NS-Ideologie durch den „arabesken Irrsinn Picassos“ die Werte des christlichen Abendlandes gefährdet sieht. Doch trotzdem (oder deshalb) war die Ausstellung ein früher Blockbuster: 112.000 Besucher sahen sie in sechs Wochen. Erstmalig bekam die Kunsthalle dazu eine elektrische Beleuchtung, ein Café und – damals fast unglaublich – einen Museumsladen. Hajo Schiff

Fritz Fenzl – Begegnungen mit „Guernica“: Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; Kunsthalle; bis 3.7.