ES IST FALSCH, ÜBER GEBÄRUNWILLIGE AKADEMIKERINNEN ZU LAMENTIEREN
: Für eine Unisex-Familienpolitik

Die Studie ist noch druckfrisch, und schon kasteit sich die Nation: wir Deutschen, ein Volk der Kinderverächter. Jeder vierte Mann und jede siebte Frau will nie ein Baby, sagen Bevölkerungsforscher. Nun geißeln Politiker den Werteverfall als Hauptschuldigen der Kinderflaute.

Überholt scheint, was bis dato Basis der Familienpolitik war: Dass sich fast alle Paare Nachwuchs wünschen, viele aber an der Praxis scheitern. Mehr Kitas, ein üppiges Elterngeld – alles unnütze Politikermüh, weil die Deutschen lieber kinderlos altern?

Wer den Kindermangel auf ein Werteproblem reduziert, der irrt. Denn die Studie belegt auch: Wer aufs Baby verzichtet, ist kein karrieresüchtiger Egomane, dem die Villa wichtiger ist als ein genetisches Vermächtnis. Vielmehr bedrängen ihn allerorts Nöte: Der Jungakademiker fürchtet, dass ihn das Baby-oder-Büro-Dilemma zermürbt. Er blickt in eine Zukunft, in der nichts sicher scheint – nicht die Ehe, nicht der Job, nicht die Rente.

Sicherlich wird er in seinem Votum bestärkt durch geänderte Werte. Wer heute kinderlos lebt, muss keinerlei Stigma fürchten – wohl aber der, der keinen Job vorweisen kann.

Das allein aber taugt nicht als Grund zur Klage. Zumindest teilweise ist der Wandel begrüßenswert. Frauen lassen sich nicht mehr zur Gebärerin herabwürdigen. Sie wollen ihr Wissen nicht am Wickeltisch verdorren lassen. Und Männer fühlen sich nicht nur dann als Mann, wenn in der Wiege der Stammhalter schreit.

Ein Problem ist der Kinderverzicht aber dann, wenn der Sachzwang entscheidet. Paare sollten allein aus freiem Willen ohne Kind leben – und nicht als Zugeständnis an die Berufswelt. So gesehen ist es wichtiger denn je, Kinderkrippen zu bauen und Teilzeitarbeitsmodelle zu debattieren.

Familienpolitik ist also keineswegs überflüssig. Sie bedarf nur einer Kurskorrektur. Der Fokus Frau – er ist veraltet. Gerade Männer, das zeigt die Studie, wünschen sich viel häufiger als früher keinen Nachwuchs. Zu Unrecht lamentiert die Nation über gebärunwillige Akademikerinnen. Stattdessen brauchen wir eine Unisex-Familienpolitik.

COSIMA SCHMITT