GOGO-GIRL IM NACHTBUS
: Bitte nicht kotzen

Ihr Gesicht kommt mir gefährlich nahe

Neulich Nacht hatten wir uns in Neukölln verquatscht. Es ging um Brustoperationen und Feminismus, das ist eben nicht in fünf Sätzen abgehandelt. Außerdem gab’s Freigetränke. Deswegen sind wir ziemlich froh, als wir den Nachtbus ab Hermannplatz noch gekriegt haben. Im Bus ist nicht viel Platz. Paul steht, ich darf sitzen, rechts in Fahrtrichtung hinter der ersten Tür.

Ein Dutzend Metal-Fans steigen ein. Oder Satanisten. Ich bin mir nicht sicher. Sie tragen lange schwarze Haare, Lederjacken mit Pentagramm drauf und jeder eine Flasche Bier in der Hand. Ich glaube, sie reden Englisch. Sie gruppieren sich irgendwie um Paul drumherum. Der steht grinsend dazwischen. Er hat echt ordentlich einen sitzen.

Eine Frau ist dabei, man erkennt sie an dem blauen Lidschatten. Sie ist sehr betrunken. Sie hat einen Arm fest um die Haltestange direkt vor meinem Platz geschlungen und dreht sich im Rhythmus des Busses um die Stange herum. Immer im Halbkreis von Paul zu mir und wieder zurück. Ungefähr so wie Gene Kelly sich bei „Singing in the Rain“ um die Laterne dreht, nur mit Bierflasche statt Regenschirm. Oder wie eine betrunkene Gogo-Tänzerin, die vergessen hat, sich auszuziehen. Ab und zu muss Paul ein bisschen ausweichen, damit er nicht aus Versehen mit der Flasche eine gewischt kriegt. Dann wieder schwingt sie zu mir herum und kommt mit ihrem Gesicht ganz gefährlich in die Nähe von meinem. „Bitte nicht kotzen!“, denke ich. Am Hackeschen Markt ist Endstation. Zu unserem wahnsinnigen Glück steht der Bus nach Pankow noch da und es gibt Sitzplätze für uns beide.

„Hast du gesehen, wie sie immer mit ihrer Bierflasche vor meinem Gesicht rumgewedelt hat?“, sagt Paul. „Ja“, sage ich, „ich hatte solche Angst, dass sie mir auf den Schoß kotzt!“ Paul grinst: „Weißte, was ich gedacht hab?“ – „Na?“ – „Ich will auch ’n Bier!“

LEA STREISAND