Spreng- oder Klebstoff für den Euro

KRISE Bei der Bundesbank und vier weiteren Notenbanken sollen sich Forderungen von 800 Milliarden Euro an die Eurokrisenländer angehäuft haben. Ökonomen streiten darüber, wie schlimm das ist

Andere erkennen in Target einen „Klebstoff“, der Deutschland an den Euro bindet

HAMBURG taz | Über die 130-Milliarden-Finanzhilfe für Griechenland streiten Politiker europaweit heftig. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hingegen bleibt bislang ein Thema nur für Expertenkreise. Dabei summieren sich die Kredite der Notenbanken im Norden an die Notenbanken im Süden auf gewaltige 800 Milliarden Euro. Kritiker sehen in diesen sogenannten Target-Forderungen „gefährlichen Sprengstoff“. Andere erkennen darin einen „Klebstoff“ für den Euro.

Zwischen den 17 Notenbanken der Euroländer werden täglich Gelder hin und her überwiesen und miteinander verrechnet. Dazu dient ein Computersystem, auf dem der Zahlungsverkehr abgewickelt wird, das „Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System“, kurz Target. Hinter diesen Finanztransaktionen stehen üblicherweise ganz handfeste Geschäfte. Liefert beispielsweise ein deutsches Unternehmen Autos nach Griechenland, überweist die Geschäftsbank des griechischen Pkw-Importeurs den Kaufpreis über Target an die Geschäftsbank des deutschen Automobilkonzerns. Die Bundesbank schreibt dazu der deutschen Bank den entsprechenden Betrag auf ihrem Target-Konto bei der Bundesbank gut.

In die andere Richtung entsteht ein Guthaben bei der griechischen Zentralbank, wenn etwa ein Lebensmittelhersteller aus Thessaloniki Schafskäse nach Berlin exportiert. Nun ist der Warenwert von Autos und Schafskäse aber nicht unbedingt gleich. Und so spiegeln sich die realen Ungleichgewichte zwischen Import und Export in monetären Ungleichgewichten zwischen den Notenbanken wider. Verschärft wird dieses Nord-Süd-Gefälle durch die Kapitalflucht aus dem Süden.

Bis zum Beginn der Finanzkrise im Sommer 2007 waren die Target-Salden weitgehend ausgeglichen. Nun ist aber eine tiefe Kluft entstanden. So hat die Bundesbank inzwischen offene Rechnungen über rund 500 Milliarden Euro in ihren Büchern stehen. Die Niederlande, Luxemburg und Finnland kommen zusammen auf weitere 300 Milliarden Euro. Diesen Forderungen von 800 Milliarden Euro stehen Verbindlichkeiten der Notenbanken in den Eurokrisenländern Griechenland, Portugal und Irland sowie Italien und Spanien gegenüber.

Konkret heißt das: In den Target-Salden spiegelt sich die Leistungsbilanz wider und die ist bei den meisten europäischen „Peripherieländern“ sehr negativ, sie importieren also weit mehr Waren und Dienstleistungen, als sie exportieren. Ein Leben auf Pump.

Um dies zu ändern, bedarf es linken Ökonomen und Gewerkschaften zufolge mehr als einer Reduzierung der Staatsschulden. Es braucht eine funktionierende, wettbewerbsfähige Wirtschaft. Die Target-Salden, davon sind sie überzeugt, wären dann bald kein Thema mehr. Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, der die Target-Salden als ein Problem entdeckt hat, spricht von einer Sprengfalle: „Der Überziehungskredit beim privaten Girokonto ist auch nicht beliebig zu haben“, argumentiert er. Bis auf Weiteres bleibt daher die Frage, ob dieser gewaltige Überziehungskredit von 800 Milliarden Euro nun gefährlich ist für den Euro.

Die Bundesbank versucht bislang, die Debatte abzuwimmeln. Und das, obwohl ihre Target-Forderungen mit einer halben Billion Euro der mit Abstand größte Posten in ihrer Bilanz sind. Bei einem Zerfall der Währungsunion wäre „die Bilanz der Bundesbank und damit das gesamte Geldwesen bedroht“, warnt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Im Gegensatz zu Sinn sieht der Banker aber in Target einen „Klebstoff“ für den Euro. Je höher die Target-Salden steigen, desto weniger können sich die Geber-Notenbanken ein Scheitern der Währungsunion leisten, argumentiert Krämer.

Kritiker sehen in den Target-Forderungen „Sprengstoff“ für die Bundesbank

Die EZB erklärt die Target-Kredite für harmlos. „Es gibt nur Kredit gegen Sicherheiten“, beteuert EZB-Chefvolkswirt Peter Praet. Ob die Sicherheiten im Falle einer Europleite tatsächlich noch viel wert sind, wird von vielen Experten jedoch bezweifelt. Die EZB dürfte daher ein ureigenes Interesse haben, die Staatsschuldenkrise mit der Notenpresse zu mildern.

Von einer ganz anderen „Dicken Berta“ spricht hingegen EZB-Präsident Mario Draghi und vergleicht die Geldschwemme mit der deutschen Kanone im Ersten Weltkrieg. Am Mittwoch können sich Banken erneut viel Geld von der EZB zu einem niedrigen Dumping-Zinssatz für drei Jahre leihen. Im Dezember hatten sich die Banken durch einen solchen „Dreijahrestender“ schon einmal rund 500 Milliarden Euro verschafft. Nach Ansicht des Banken-Analysten Krämer wird die Europäische Zentralbank in der nächsten Zeit noch öfter solche „Dicken Bertas“ abfeuern. HERMANNUS PFEIFFER