Eine Aufgabe, die nie beendet sein wird

60 Jahre nach ihrer Befreiung erinnern Überlebende an das Leid im Konzentrationslager Neuengamme. Doch auch die Nachkriegsnutzung als Gefängnis zieht sich durch alle Reden anlässlich der Eröffnung der neu gestalteten Gedenkstätte

Von Elke Spanner

Die Erinnerung drohte ausgelöscht zu werden. Zunächst durch die Nationalsozialisten selbst, die das Konzentrationslager Neuengamme schon geräumt hatten, als die alliierten Truppen im Mai 1945 in Hamburg eintrafen. Dann durch die Nachkriegsregierung, die das Gelände nicht zur Dokumentation seiner Geschichte erhielt, sondern dort Gefängnisse errichtete. 60 Jahre nach der Befreiung Hamburgs vom Faschismus aber gedachten am Mittwoch rund 240 Überlebende des Konzentrationslagers aus 23 Ländern ihrer Angehörigen und Freunde, die Neuengamme nicht mehr lebend hatten verlassen können.

Mit der neu gestalteten Gedenkstätte, die mit der Feier eröffnet wurde, haben laut dem Präsidenten der Überlebendenorganisation „Amicale Internationale KZ Neuengamme“, Robert Pincon, „unsere jüngeren Nachfolger alles in der Hand, um eine Aufgabe fortzusetzen, die niemals beendet sein wird“.

Neuengamme, sagte Pincon, ist für die Überlebenden „ein heiliger Ort“. Er erinnerte noch einmal an grausame Details des Lebens der Häftlinge im KZ, an den „alltäglichen Horror“ durch Trennung, Brutalität, Hunger, Missachtung, grausame Strafen und Tod. Alles, was diese harte Wirklichkeit den Nachkommen hätte verraten können, wurde im Frühjahr 45 zerstört. Der zentrale Appellplatz, auf dem die Gedenkfeier am Mittwoch abgehalten wurde, war bei Eintreffen der Alliierten ein verlassener Ort.

Selbstredend konnte es nicht ausbleiben, dass auch die Nachkriegsgeschichte von Neuengamme Thema der Ansprachen war – schließlich ist die spätere Nutzung als Gefängnis der Grund, warum das KZ-Gelände erst jetzt zur Gedenkstätte umgestaltet werden konnte. „Das gesamte Gelände wurde damit geschändet“, sagte Pincon und erinnerte daran, dass „diese Nutzung die Überlebenden und die Angehörigen der Toten mit Schmerz erfüllte“. Kulturstaatsministerin Christina Weiss versuchte, diese Historie zumindest zu erklären: Die „sauber geräumten Häuser“ auf dem Gelände „waren eine Versuchung, der die Bürokratie nach 1945 nicht widerstehen konnte“. Es sei paradigmatisch für die Nachkriegsgeneration, dass sie gegen den in Neuengamme erlebten Terror „das Gegenbild eines modernen, demokratischen Strafvollzuges setzen wollte“. Dass die Häftlinge dadurch ein weiteres Mal gedemütigt wurden, räumte auch Bürgermeister Ole von Beust in seiner Ansprache ein – der CDU-Politiker hatte noch vor vier Jahren die Entscheidung des damaligen Schwarz-Schill-Senats mitgetragen, das Gefängnis gegen den ausdrücklichen Willen der KZ-Überlebenden in Neuengamme zu belassen. Erst durch massiven internationalen Protest war die Regierung doch noch umgeschwenkt. Gestern dankte von Beust der Amicale dafür, dass sie ihn zur Einsicht gedrängt hatte.

Der frühere israelische Botschafter Avi Primor hatte seine Teilnahme an der Feier aus gesundheitlichen Gründen absagen müssen – seine Rede wurde jedoch verlesen. Darin erinnerte Primor daran, dass das Verdrängen der eigenen Geschichte durch die Deutschen nach 1945 jahrzehntelang das größte Hindernis zur Verständigung mit Israel war. Das aber habe sich in den vergangenen Jahren geändert. Heute gebe es in fast jeder deutschen Stadt ein Mahnmal zur Erinnerung an die vernichtete jüdische Gemeinde, „während andere Länder Denkmäler nicht zur Erinnerung an Schande, sondern an Ruhm und Siege aufstellen“. Die Erinnerungsarbeit aber, betonte Avi Primor, „kommt nie an ein Ende“.