Das Problem des Nicht-Verschwindens

Nach langer Obdachlosigkeit veranstaltet das „Haus im Park“ jetzt einen „Heimat“-Kongress. Ein Großteil der Programm-Mittel für weitere kulturanalytische Projekte ist zwischenzeitlich allerdings auf der Strecke geblieben

Kultur am Klinikum Ost ist ein Kapitel für sich – ein ziemlich dickes und wegen seiner speziellen Philosophie bundesweit beachtetes. Heute, nach 17 Jahren Projektarbeit, fürchtet Mitinitiator Stephan Uhlig allerdings um den substantiellen Fortbestand.

taz: Der Brand des alten „Haus im Park“ hat viele schockiert. Nach Ihrem temporären Heimatverlust beginnt heute eine ganzer Veranstaltungs-Zyklus zum Thema. Ist das persönliche Trauma-Verarbeitung?

Stephan Uhlig: Das Haus im Park ist Mitveranstalter – das heißt, auch für andere ist Heimat offensichtlich ein Thema. Es wird ja auch immer unsicherer, ob es so etwas wie Heimat im Sinne eines kulturellen Obdachs noch gibt. Das zunehmende Primat der Produktivität nimmt den sozialen Tod derjenigen in Kauf, die nicht entsprechend leistungs- oder anpassungsfähig sind. Bei der Tagung befragen wir dazu auch literarische Positionen. Nehmen Sie den wahnsinnigen Hölderlin im Turm: Bei dem ist der symbolische Interaktionsfaden vollständig gerissen.

taz: Wen erreichen Sie?

Unser Publikum ist verblüffend heterogen – und zum Teil völlig „unintellektuell“. Da gibt es auch Friseurinnen, die in ihrem Leben zu Sinnfragen gekommen sind.

taz: Trotzdem scheinen Ihre Angebote eher den Kopf als die Kreativität der Teilnehmenden zu aktivieren – wie etwa in den Blaumeier-Ateliers.

Da hat sich in der Tat etwas verändert. Wir haben mal als Kunstprojekt angefangen, bei dem es darum ging, Patienten durch die künstlerische Arbeit zu integrieren. Und sind dann zu der Frage gekommen, ob es nicht möglicherweise die Kultur ist, die krank macht. Es gibt ein Leiden an Norm und fehlender Norm, auch Globalisierung bewirkt Entfremdung.

taz: Wieso eigentlich? Beispiel Bier: Die expandierenden Interbrewer vertreiben unsere Becks-Pferde vom heimischen Marktplatz, aber dafür findet man im Urlaub immer mehr grüne Flaschen – geradezu ein Vertrautheitsschub.

Ich bin kein Vertreter der Dorfidylle. Aber es verursacht ein Identitäts-Problem, wenn man die Kausalitäten des Kapitalmarktes – und damit seine eigene Verortung im Produktionsprozess – nicht mehr nachvollziehen kann. Gleichzeitig gibt es einen ungeheuren Druck, im System zu bleiben, weil sonst die totale Orientierungs- und soziale Bindungslosigkeit droht. Depression wird bald weltweit eine der häufigsten Diagnosen sein.

taz: Der „Heimat“-Kongress wird von Pharmafirmen wie Wyeth gesponsort. Hätte es das früher auch gegeben? Immerhin sind Sie für Projekte bekannt, die die gesellschaftlich gültige Definition von Krankheit radikal in Frage stellen.

Die Firmen und wir haben in der Tat sehr verschiedene Beschäftigungsweisen mit dem Phänomen Krankheit. Es wäre aber auch ein Trugschluss, alles über Kultur definieren zu wollen. Im medizinischen Bereich hat sich enorm viel entwickelt: Es ist meines Ermessens durchaus sinnvoll, mit Medikamenten Leidenssymptome zu dämmen – wenn dabei die emotionale Verbindung zur Mitwelt möglich bleibt.

taz: Der Rahmen für Ihre Arbeit scheint gerade kräftig zu wackeln. Das Klinikum soll seine Bettenzahl um gut zwei Drittel auf 320 reduzieren, mit Peter Kruckenberg ist ein Vorkämpfer der Psychiatrie-Reform aus dem Direktorium ausgeschieden. Bleibt bei der Umstrukturierung der Bremer Krankenhauslandschaft noch Platz für Ihren Ansatz oder ist der Ökonomisierungsdruck zu groß?

Da gibt es widersprüchliche Tendenzen. Für ein Krankenhaus, das sich allein als Wirtschaftsunternehmen versteht, ist unsere Arbeit eigentlich kontraproduktiv, weil wir am Abbau von Krankheitsursachen arbeiten. Trotzdem bin ich sicher, dass es uns weiter geben wird. Die Frage ist: wie? In diesem Jahr müssen wir neben den neun Prozent Kürzungen der Personalkosten zusätzlich selbst Geld erwirtschaften.

taz: Jetzt brechen auch die Kulturhauptstadtmittel weg.

Es sind nicht nur die fehlenden Mittel. Unser Kulturensemble bekam durch die Außensicht von Martin Heller auch von offizieller Seite einen höheren Stellenwert in der kulturpolitischen Landschaft. Wir haben uns mit unserer Arbeit auf die kulturstrategische Entwicklungslinie des Hauptstadtteams eingelassen und das auch mit dem Kulturressort abgestimmt. Ich spreche für viele Einrichtungen, die sich mit ihren Projekten zumindest auf den Zeitraum bis zur endgültigen Hauptstadtentscheidung 2006 eingelassen haben. Es wäre ein endgültiger Vertrauensbruch, wenn diejenigen, die uns sonst zu Sparsamkeit und bewussten Umgang mit Ressourcen auffordern, jetzt im Stich ließen.

taz: Wie verändert der neue Bau Ihre Arbeit? Der atmosphärische Unterschied zwischen Ihrem früheren Jugendstil-Tempel und dem jetzigen eher geometrisch geprägten Haus könnte kaum größer sein.

Ich fühle mich in der Neutralität der neuen Architektur wohler. Natürlich haben wir – vom Zentrum aus gesehen – nach wie vor unsere Standortschwäche, aber durch das größere Haus auch Gewinnmöglichkeiten: Das heißt, wir müssen deutlich mehr Management-Arbeiten machen, um möglichst oft zu vermieten.

taz: Wie ist Ihnen selbst die Heimatlosigkeit bekommen?

Es war sehr anstrengend, aber wir sind dankbar für die Ausweichquartiere. Das größte Problem bestand darin, nicht einfach zu verschwinden.

Interview: Henning Bleyl