trommeln auf unserer haut von WIGLAF DROSTE
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Im strahlend hellen Mittag sah ich ihn. Er stand, weithin für jedermann sichtbar, auf einer Grünfläche in der Mitte einer großen Berliner Straßenkreuzung. Sein Oberkörper war nackt, sein Haar war zu einem Zopf gebunden. Kraftvoll urinierte er in die Rabatten und beendete die gelbe Performance stolz mit heftigem Abschütteln. Dann schulterte der ungenierte Mann die zuvor abgestellte Trommel und entschwand. Seitdem weiß ich, was mit „Karneval der Kulturen“ gemeint ist.

Wenn der Sommer über die Stadt kommt, wird der Mensch fidél und gerät ins Ausschwärmen. Ins Grüne, parkwärts zieht es ihn; eine Decke rollt er zusammen, macht sich einen schicken Picknickkorb zurecht, steckt ein Buch dazu, radelt mit allem ins Grüne und freut sich auf einen ruhigen Platz im Freien. Da will er liegen, lesen, wegdösen bei Vogelgezwitscher und sich des Daseins freuen. Doch kaum hat er den Park erreicht, ist immer schon einer vor ihm da, wie in der Geschichte von Hase und Igel. Das ist der Trommler.

Für gewöhnlich kommt der Trommler im Aggregatzustand des Schneidersitzes vor. Diese Haltung scheint ihm erhaben und weise, denn schlicht ist der Trommler im Geiste. Er hält sich für erleuchtet, wenn er Geräusch erzeugt, Krach macht, Luft und Welt voll donnert mit LERM.

Fatt-Ploff-Pomm machen die Hände des Trommlers auf seiner Trommel. Weil der Trommler nicht still sein kann, darf es Stille auch für niemanden sonst geben. Stille beunruhigt den Trommler, sie macht ihm Angst, er hasst sie. Der Trommler muss die Stille überdröhnen, sonst weiß er nicht, ob es ihn gibt. Wie die Grillsorte Mensch die Luft mit beißenden Rauchschwaden anfüllt, um sich der eigenen zweifelhaften Existenz zu versichern, muss der Trommler akustische Hausmacherjauche ausbringen. Er kann gar nicht anders; der Hohlraum als solcher ist ihm Heimat und Programm, auf den haut er drauf, und wenn es dann so richtig dröhnt in der Leere zwischen seinen Ohren, stammelt er guttural: Uhh! Bongo, ergo bumm. So sind Trommler wie Trommlerin – auch viele Frauen prügeln auf fellbespannte Klangkörper ein wie nichts Gutes. Ist es der Lockruf der Savanne, den sie im Wummern der Trommel vernehmen? Der atavistische Mix aus Stamm und Steppe und Mutti Erde? Ein urschlammiges wie pulsierendes Fruchtbarkeitsritual? Aus welcher nicht minder trüben Quelle speist sich der Aberglaube, das Eindreschen des Trommlers auf tote Tierhaut geschehe zur Freude der Menschen? Zu den zartesten, empfindsamsten Organen von allen zählt das menschliche Ohr. Filigran und fein ist das Trommelfell, es bedarf nicht der Schläge, nicht des Wummerns.

Hartnäckig hängt der Trommler den verschwiemelten Mythen von Urwüchsigkeit und peitschender Rhythmik an. Esoterisches Klingklang wabert und walhallat durch seinen Kitsch- und Brausekopf, den ich mit einem zenbuddhistischen Koán zur Ruhe betten möchte, denn buddhistisches Getue findet der Trommler gut. Also: Wie ist der Klang der Geräuschlosigkeit? Wie klingt eine lautlos geschlagene Trommel? Im Beantworten dieser Frage möge der Trommler Glück finden – nicht seins, das mir ganz gleichgültig ist, aber dafür das meine.