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Abgeschmettert im Finale

Das deutsche Tischtennis-Doppel Timo Boll und Christian Süß gewinnt bei der WM in Schanghai die Silbermedaille und fühlt sich mit den Chinesen auf Augenhöhe

SCHANGHAI taz ■ Die schwarz-rot-goldene Flagge wurde immer wieder vor drei roten chinesischen nach oben gezogen. Gleichzeitig erklang die deutsche Nationalhymne bei der Tischtennis-WM in Schanghai. Das Glück der Gastgeber wurde durch Timo Boll und Christian Süß allerdings nicht zerbrochen. Das Szenario freilich diente lediglich Übezwecken – und da hatte es die chinesische Bescheidenheit geboten, die deutsche Fahne am höchsten zu hängen. An die sechste Weltmeisterschaft von deutschen Tischtennisspielern hingegen dürften die Gastgeber nicht wirklich geglaubt haben. Zu Recht, wie sich gestern herausstellen sollte, als die beiden Tischtennisspieler aus Gönnern und Düsseldorf tatsächlich „nur“ auf das Podest mit der Nummer zwei sprangen.

Boll und Süß schafften es diesmal also noch nicht, die Pingpong-Weltmacht zu erschüttern. Der 24-jährige Hesse und sein 19-jähriger Partner hatten aber immerhin im WM-Halbfinale die an Position eins gesetzten Olympiasieger Ma Lin und Chen Qi mit 4:1 überrollt. Gestern aber unterlag das erst seit neun Monaten zusammenspielende Doppel im Endspiel vor rund 11.000 tobenden Zuschauern mit 1:4 (9:11, 3:11, 9:11, 11:7, 6:11) gegen Wang Hao/Kong Linghui. Nach dem knapp mit 9:11 verlorenen ersten Satz brachte der Hauptschiedsrichter das deutsche Gespann aus dem Konzept: Beim Punkt zum 1:2 wollte der Unparteiische eine Hemdberührung des Balles vor dem Schlag gesehen haben. Auch Süß’ Proteste brachten ihn nicht davon ab, den Spielstand auf 0:3 zu ändern. Beim 0:4 wiederum hatte der Referee im Gegensatz zu den vier Akteuren den Aufschlag im falschen Feld gesehen. Danach ging nichts mehr bis zum 3:11 und 6:10 im dritten Durchgang. Als sich Boll und Süß aber auf 9:10 herangepirscht hatten, nahmen die Chinesen geschickt ihre Auszeit – neu eingestellt, durchbrach der ehemalige Einzel-Olympiasieger Kong Linghui den Lauf der Kontrahenten mit einem Schmetterschlag zur vorentscheidenden 3:0-Satzführung. Die weitere Leistungssteigerung bescherte dem Doppel von Bundestrainer Richard Prause lediglich eine Resultatskosmetik durch ein 11:7. Danach waren wieder die auf Position zwei gesetzten Favoriten Herr in der Box. Mit dem 11:6 sicherten Wang und Kong China die dritte (nach Mixed und Damen-Einzel) der fünf Goldmedaillen.

Nichts war es somit mit der Ankündigung von Süß: „Wir befinden uns mit den Chinesen auf Augenhöhe. Die Hosen der Chinesen sind doch gestrichen voll“, hatte der selbstbewusste Weltranglisten-58. noch getönt, nachdem er den Einzel-Weltranglistenzweiten Ma Lin immer wieder vorgeführt hatte.

Die rund 50 deutschen Schlachtenbummler unter den 12.000 Besuchern im ausverkauften Hexenkessel Shanghai Gymnasium feierten die Silbermedaille dennoch. Seit 1939 hatten lediglich Steffen Fetzner und Jörg Roßkopf, Bolls Vereinskamerad in Gönnern, den Titel gewonnen, 1989 in Dortmund war das. Die Bundestrainer hatten Boll den neuen Partner nach Olympia an die Seite gestellt, weil der Weltranglistenfünfte zusammen mit Zoltan Fejer-Konnerth zu wechselhaft agierte – mal Europameister, mal in der ersten Runde raus. Mit Süß wurde das anders: Zwei Pro-Tour-Siege und EM-Bronze sowie jetzt WM-Silber stehen bereits in der Erfolgsliste des neuen deutschen Paradedoppels. Da die Experten auch Süß im Einzel den Sprung in die Top Ten zutrauen, werden sich vielleicht sogar die chinesischen Turnierorganisatoren umstellen müssen – und die deutsche Flagge nicht mehr nur zu Übungszwecken an oberster Stelle hissen. HARTMUT METZ

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