Neue Männerfreundschaft am Bosporus

Bei seinem Türkeibesuch lobt Kanzler Gerhard Schröder seinen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan und bekennt sich zu einer türkischen EU-Perspektive. Von der guten Chemie zwischen beiden Regierungschefs profitieren deutsche und türkische Firmen

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Gerhard Schröder hat einen neuen Männerfreund. Nach Jacques und Wladimir ist seit seinem Türkeibesuch in dieser Woche auch Recep Tayyip in die erlauchte Runde aufgestiegen. Ganz öffentlich, vor mehr als tausend Zuhörern nannte Bundeskanzler Schröder den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan seinen Freund – einen Freund, dem er vertraut und zutraut, die Türkei strikt auf EU-Kurs zu halten.

„Eine so strategische weit reichende und historische Entscheidung wie den möglichen Beitritt der Türkei zur EU kann man nicht von Stimmungen und auch nicht von Referenden in einzelnen EU-Ländern abhängig machen“, sagte Schröder in Anspielung auf türkischen Nationalismus und französisches Verfassungsreferendum, „da braucht man einen längeren Atem.“ Es wäre doch ganz unnatürlich, wenn es „bei einem so historischen Schritt und einem so weit reichenden Transformationsprozess, wie ihn die türkische Gesellschaft durchmachen muss, keinen Widerstand gäbe“. Die Frage sei: Kann die Politik diese Widerstände überwinden?

Erdogan, davon scheint Schröder überzeugt, kann. Bei seinem Besuch ist der Kanzler ein hohes Risiko eingegangen. Der wachsenden Ablehnung in der deutschen Öffentlichkeit zum Trotz, hat er sich rückhaltlos zu einer türkischen EU-Perspektive bekannt und jeden Zweifel an dem Beginn von Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober weggewischt. „Vorausgesetzt, die Türkei erfüllt ihre im letzten Dezember gegebenen Versprechungen in Bezug auf Zypern.“

Im Gegenzug kündigte Schröder an, dass die Bundesregierung bereit seit, bilateral an Pilotprojekten zur Entwicklung des armen Nordens teilzunehmen. „Nicht um Nord und Süd gegeneinander auszuspielen, sondern um die Basis für neue Friedensgespräche zu verbessern.“

Sein Garant, dass die türkische Seite hält, was sie zugesagt hat, ist Tayyip Erdogan. Die beiden schienen während der gesamten Dauer des Staatsbesuchs ein Herz und eine Seele. Am Dienstagabend, kurz nach seiner Ankunft in Ankara ging Gerhard Schröder privat mit Erdogan essen. Auf der Pressekonferenz ließ Schröder sich trotz hartnäckiger Nachfragen kein böses Wort über Erdogan entlocken. Kritik an der türkischen Haltung zur Armenierfrage? Schröder lobte den Vorschlag Erdogans zur Bildung einer armenisch-türkischen Historikerkommission als „sehr vernünftig“. Den Christen in der Türkei wünschte er eine Verbesserung ihrer Situation, gab aber zu bedenken, dass man „Geduld haben müsse“. Der notwendige Mentalitätswandel „käme natürlich nicht über Nacht“.

Allerdings besuchte Schröder in Istanbul erstmals demonstrativ den griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomäus I., das spirituelle Oberhaupt der gesamten Orthodoxie. Der von türkischen Nationalisten als orthodoxer Vatikan geschmähte Sitz des Patriarchen im Viertel Fener, am Goldenen Horn, verwandelte sich für eine Stunde zu einem Knotenpunkt heikler Religionspolitik. Schröder wurde mit großem Bahnhof im Prunksaal des Patriarchats von Bartholomäus im vollen Ornat empfangen. Außer den Orthodoxen war auch der evangelische Pfarrer Istanbuls, Holger Nollmann, als Vertreter der EKD vertreten.

Der Höhepunkt des Schulterschlusses war dann der gemeinsame Auftritt auf dem deutsch-türkischen Wirtschaftskongress. Vor 1.200 begeisterten Unternehmern aus beiden Ländern konnten die beiden zeigen, was ihre Politik wert ist. Deutschland ist der wichtigste Wirtschaftspartner der Türkei. Allein in den letzten anderthalb Jahren wurde das Handelsvolumen von 10 Milliarden auf über 20 Milliarden Euro gesteigert, in zwei Jahren sollen es 50 Milliarden werden.

Bereits jetzt sind gut 1.800 deutsche Firmen in der Türkei vertreten und angesichts von Wachstumsraten um neun Prozent und guten Noten von IMF und OECD stehen weitere deutsche Investoren Schlange. Nicht nur die großen Konzerne, sondern zunehmend auch Mittelständler wie Harribo. Das Unternehmen lässt seine Gummibärchen mittlerweile am Bosporus produzieren. Für die Wirtschaft – das war offensichtlich – ist die gute Chemie zwischen Schröder und Erdogan eine höchst glückliche Verbindung.