Das Mann-Frau-Electro-Rock-Ding im Nirgendwodorf Berlin: Pablo Decoder und The Ting Tings

Teil der Pop-Geschichte werden, ist gar nicht so einfach. Dazu muss man ein paar revolutionäre Töne aufnehmen. Mindestens ein paar tolle Songs schreiben. Wahlweise kann man sich auch einfach zur rechten Zeit fantasievoll ins Jenseits befördern. Oder man bietet Massagen an. Okay, die letzte Möglichkeit ist nicht wirklich praktikabel. Die klappt nur mit viel Glück. Da müssen sogar so viele Zufälle zusammenkommen, dass die Glücklichen mitunter gar nicht merken, dass sie Teil der Popgeschichte geworden sind. Wenn man jedenfalls anruft im Friedrichshainer Salon „Massage Kunst“, dann erfährt man zwar, was einen erwartet: Nämlich „eine erotische Massage“, aber „kein Sex“. Aber von The Ting Tings hat die Frau mit dem osteuropäischen Akzent noch nie etwas gehört. Tatsächlich aber hat die Band aus London ihr neues Album zum Teil in der Nachbarschaft des Massage-Salons eingespielt und war so begeistert von dem Namen des Etablissements, dass sie die Platte eigentlich „Kunst“ taufen wollte. Die Geschichte erzählen die beiden Ting Tings momentan gern in Interviews, die ihr Album bewerben sollen. Leider erzählen sie nicht, warum sie das Album nun doch „Sounds From Nowheresville“ getauft haben. Soll das etwa bedeuten, Berlin sei das titelgebende „Nirgendwodorf“? Na, schönen Dank auch.

Wie auch immer: Das Dorf an der Spree hat das englische Duo jedenfalls zu einigen ziemlich flotten Nummern inspiriert, die knarzende Gitarren mit knockentrockenen Beats aus dem Computer verschmelzen. Das klingt jetzt nach The Kills und diesem weiteren Dutzend Mann-Frau-Electro-Rock-Combos, die sich in letzter Zeit so in den Indie-Charts rumtreiben. Aber Katie White und Jules de Martino gelingt es, diese eher eingeschränkte Konstellation mit einer gehörigen Portion Glamour aufzupeppen. Dazu bedienen sie sich beim piepsigem Synthie-Pop der Achtziger und den raumgreifenderen Disco-Klängen der Siebziger, setzen das aber so ein, als würden sie einen guten Witz erzählen. Oder anders gesagt: Musik, die schon auch mal über die eigene Coolness lachen kann.

Was gar nicht so unwahrscheinlich ist: Dass White und de Martino bei ihren Streifzügen durchs Berliner Nachtleben mal Pablo und Lohtta über den Weg gelaufen wären. Die beiden Londoner und die beiden Wahlberliner aus Spanien und Schweden hätten sich womöglich ganz gut verstanden. Denn was The Ting Tings so treiben, das können auch Pablo Decoder – vielleicht sogar ein bisschen besser. Zwar knarzen auf „When We Fall Down“ seltener Gitarren, sondern vornehmlich die Elektronik, und bei ihnen übernimmt nicht meistens die Frau, sondern der Mann den Gesang. Aber was Pablo Decoder zum Punktsieger werden lässt, sind die Melodien, die mitunter mitreißender sind als die der britischen Konkurrenz. Dafür müssen Pablo Decoder aufpassen, nicht demnächst am Ballermann zu versacken, während sich die Ting Tings geschmackssicher durch die Popgeschichte zitieren. Aber allein mit distinguiertem Abklappern der eigenen Einflüsse schafft man es auch nicht in die Popgeschichte. THOMAS WINKLER

■ The Ting Tings: „Sounds From Nowheresville“ (Columbia/ Sony)

■ Pablo Decoder: „When We Fall Down“ (Snowhite/Universal), live am 3. 3. im White Trash, 24 Uhr