: Der Zappelkönig von Bremerhaven
TANZ-LEGENDE Horst Beer war fast 30 Jahre lang Tanzsporttrainer der TSG Bremerhaven. Seine Mannschaft galt als eine der besten Latein-Formationen der Welt, Aushängeschild der Stadt. Seit 2008 müssen die TänzerInnen nun ohne ihren Meister auskommen
VON GESA KOCH-WESER
Es riecht nach einer Mischung aus Puder, Deo und Schuhcreme. Warmes Licht fällt in Streifen und Kästchen auf das helle Parkett der Halle der TSG Bremerhaven. An der Wand hängen große Spiegel. „Samba Samba Hey“ trommelt und dröhnt es aus den Lautsprechern. Rund 20 Schüler und Schülerinnen kreiseln, gleiten, hüpfen über den Boden. Breite Kreuze die Jungs, lange Beine die Mädchen. Ein Minirock kürzer als der andere.
Horst Beer zappelt. Fast immer. In der Halle zappelt er ausgeglichen, sympathisch, ruhig. Trifft man ihn jedoch auf der in rot und lila gehaltenen Sitzecke seiner Tanzschule, fliegen seine Hände, die Füße wippen, er spricht schnell. Dann zappelt er distanziert, angespannt, wie ein Schuljunge kurz vor der Pause.
Dank Horst Beer durfte die Stadt Bremerhaven einst an derSpitze stehen, Ruhm schnuppern, zur Weltklasse gehören. Er machte die Tanzsportgemeinschaft Bremerhaven zu einer der weltbesten auf dem Gebiet der lateinamerikanischen Tänze. Mittlerweile stehen andere Trainer an seinem Platz – dieses Jahr beginnt die erste Bundesliga-Saison ohne Horst Beer.
Fast 30 Jahre lang war Beer Cheftrainer der Latein-Formationen der TSG Bremerhaven – mit seinem Team holte er einen Titel nach dem anderen. Die Truppe wird von 1981 bis 2007 unter seiner Führung sechzehn Mal Deutscher Meister, neun Mal Europa- und elf Mal Weltmeister. Seine Choreographien sind in der Szene bekannt, geliebt, gefürchtet. „Horst ist mit Genialität gesegnet“, sagt sein Schüler Alexander. Er habe ständig neue, kreative Ideen. Beer selbst gibt sich bescheiden: „Ich weiß auch nicht, bei mir kam alles immer ganz einfach aus dem Bauch heraus.“
Horst Beer wird 1958 in Bremerhaven geboren, seine Eltern führen eine Tanzschule. Klar, dass der Sprössling da auch selbst Pirouetten dreht – und nicht nur zum Zeitvertreib: Nach Abitur und Bundeswehr wird er Tanzsporttrainer und Tänzer. Mit seiner Tanzpartnerin und späteren Ehefrau Andrea tanzt er auf Wettbewerben, deutschen Meisterschaften, Weltmeisterschaften. Ganz in schwarz, blond und mit Zahnpastagrinsen sitzt er nach dem Sieg bei der Latein-WM 1985 auf den Schultern zweier Männer, hält freudestrahlend den Pokal in den Händen.
Mit 23 Jahren beginnt Beer die Latein-Formationen der TSG zu trainieren und führt den Verein an die Weltspitze. Ein neues Aushängeschild für Bremerhaven. „Die Stadt hat wirklich von unserem Tanzsport und den vielen Fernsehauftritten profitiert. Bremerhaven war damals in aller Munde“, sagt Beer. Von einem der weltbesten Tanzteams, puppenartigen Mädchen, durchtrainierten Jungs und Preisen ohne Ende, rieselte ein wenig Glitzer auf die Industriestadt und ihre Betonklötze, Kräne und Steinhaufen. Nabel der Welt, statt Tor zur Welt. Talente aus ganz Deutschland seien in die TSG gekommen, um mit einem echten Beer zu tanzen, trainieren, triumphieren. Sein Erfolg war ein Magnet, „es war der Traum von vielen, unter mir zu tanzen“, sagt er heute.
Horst Beer war immer stolz auf die große Anzahl an „Eigengewächsen“. Die meisten der TänzerInnen kamen aus Bremerhaven und Umgebung – „in einer Stadt, in der es nicht so ein großes Freizeitangebot wie in Berlin, Hamburg oder München gibt, haben die Jugendlichen eben eher Interesse an Sportvereinen“, glaubt Beer. Zudem habe die Stadt den Tanzverein stark unterstützt. Schließlich ist Fußball in Bremerhaven keine große Sache – Trainings- oder Reisekostenzuschüsse gab es also auch für die weniger populären Sportarten.
Im Jahr 2008 gibt Beer seinen Rücktritt als Trainer der erfolgreichen A-Formation bekannt. Der Grund dafür könnte simpler nicht sein: „Ich hatte einfach keine Lust mehr“, sagt er und erzählt von ständigem Training, einer Meisterschaft nach der anderen, Druck. „Nach ein paar Jahren hat man von der TSG Bremerhaven immer erwartet, Weltmeister zu werden“, sagt Beer. „Wenn die Mannschaft dann auf einem zweiten oder dritten Platz landete, sprach man gleich von einer großen Niederlage.“
Beer wünscht sich mehr Freizeit, neue Herausforderungen, Abwechslung – und geht. „Die Schüler haben geheult, waren völlig fertig“, sagt er. Die Mannschaft löst sich auf – zu viele waren hauptsächlich da, um von der Tanzgröße Beer trainiert zu werden. Aber der ist jetzt Wertungsrichter, berät Formationen anderer Vereine, ist Landestrainer in Berlin und gibt in der TSG Bremerhaven Einzel- und Gruppentraining für Paare.
„Eins, zwei, drei, vier‘n eins, zwei, drei...“ – Beer zählt den Takt. Die ersten vier Knöpfe seines blauschwarzen Hemdes sind offen, eine Silberkette blitzt auf der braunen Brust. Vier Wochen Urlaub hat er gerade hinter sich – im eigenen Ferienhaus in Florida. Auch Beers Tochter Vanessa ist unter seinen Schülerinnen. Sie ist erst 13, tanzt aber schon in der höchsten Jugendklasse. Sohn Moritz hat sich auf Hip-Hop-Tanz spezialisiert. Damit er was macht, wovon Papa keine Ahnung hat.
„Eins, zwei, drei, vier ‘n eins, zwei, drei...“ Hoch auf die Spitze. Aufrecht stehen. Kopf nach oben. Dann jeweils ein bis zwei Minuten Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba, Paso Doble und Jive. Dazwischen 30 Sekunden Pause. „Ein Tanz ist ungefähr so anstrengend, wie ein 400-Meter-Lauf“, sagt Beer. Auf den letzten Jive hat eigentlich keiner mehr Lust, doch natürlich wird er durchgezogen.
Seine SchülerInnen beschreiben Beer als streng, respektvoll und diszipliniert. „Er versucht, uns durch Negatives zu verbessern“, sagt ein Tänzer, dem der Jive-Schweiß von der Nase tropft. Lob gebe es nur in Verbindung mit Kritik. Für Spaß sei Horst aber natürlich auch zu haben. Und: Er kenne alle seine SchülerInnen gut und sieht Dinge, Fehler, die andere Trainer nicht sähen. „Horst ist eine große Respektperson für mich“, sagt der 22-jährige Tänzer Vadim. „Auf Mama höre ich weniger, als auf ihn.“
Unter Michael Albers und Martina Ramrath, den neuen Trainern der TSG Bremerhaven A-Formation sollte sich das Team eigentlich erst einmal vom Druck der letzten Jahre erholen. Doch jetzt rückte die Mannschaft in die erste Bundesliga nach. Die kommende Saison wird stressig – auch ohne Horst Beer.