: Patrizias Projekt „Carl“
Die mysteriöse Aktiengesellschaft hört auf den Namen Patrizia und hält ein weltweit verschachteltes Firmengeflecht. Das Projekt „Carl“ und die 21.000 LBBW-Immobilien waren ihr größter Coup. Behilflich war ein Exminister
von Meinrad Heck
Die ersten bösen Ahnungen kamen schon im vergangenen Sommer. Da platzte dem Stuttgarter Mieterverein ein Lobbyist ins Haus. Einer, den sie alle kannten, weil er früher Wirtschaftsminister des Landes Baden-Württemberg gewesen und vor ein paar Jahren etwas unehrenhaft aus dem Amt geschieden war. Das hatte seinerzeit 2004 etwas mit der Verstrickung in das Umfeld des legendären Flowtex-Milliardenbetrugs zu tun. Aber diese unehrenhaften Zeiten waren vergessen und vorbei. Jetzt wollte der Unternehmensberater Walter Döring, der sich ob der ministerialen Vergangenheit gerne seiner beste Kontakte rühmt und für ein gutes Dutzend Firmen aktiv ist, beim Mieterverein mal vorfühlen und Türöffner für ein veritables bayerisches Unternehmen namens Patrizia AG spielen.
Rolf Gaßmann vom Mieterbund erinnert sich noch an jenen Sommer 2011. Döring als Berater von Patrizia habe unverbindlich „Goodwill“ machen wollen, ansonsten aber über die Wohnungswirtschaft, über soziale Zusammenhänge „nicht viel gewusst“. Beim Mieterverein waren sie sich seinerzeit nicht sicher, aber sie hatten geahnt, dass dieser Lobbybesuch etwas mit dem bevorstehenden Verkauf der 21.000 LBBW-Wohnungen zu tun haben könnte. Sie sollten Recht behalten. Und als es die Spatzen im Spätjahr 2011 von den Dächern pfiffen, dass Döring im patrizianischen Auftrag auch in kommunalen Verwaltungen gut Wetter zu machen versuchte, war es Gewissheit geworden.
Dem früheren SPD-Landtagsabgeordneten und baden-württembergischen Landesvorsitzenden des Deutschen Mieterbunds, Rolf Gaßmann, schien das exministeriale Procedere „ein Gschmäckle“ zu haben. Also ließ er im Dezember 2011 eine geharnischte Mitteilung veröffentlichen, wonach besagte LBBW-Häuser „nicht in die Hände des Wohnungsvermarkters Patrizia gelangen“ dürften. Versehen mit einem gepfefferten Seitenhieb auf Döring, dessen Engagement als Patrizia-Berater „unseriös“ sei. Weil sich der ausgeschiedene Minister mit seinen besten Kontakten zum Beamtenapparat „nicht als Lobbyist verdingen“ sollte, noch dazu in Angelegenheiten seines früheren Ministeriums. Geholfen hat die Mahnung nichts. Die EU verdonnerte die in der Finanzkrise ins Wackeln geratene LBBW zum Verkauf ihrer Immobiliensparte. Der Deal wurde hinter verschlossenen Türen als „Projekt Carl“ abgewickelt. Zwei Konsortien, eines der Stadt Stuttgart und das von Döring betreute von Patrizia, intern „Panther und Tiger“ genannt, versuchten den Zuschlag zu bekommen.
Die Börse reagiert mit Kurssprung
Den 13. Februar 2012 kann sich die bayerische Patrizia AG im Kalender rot anstreichen. Es war der Tag, als Stuttgart verlor und das Patrizia-Konsortium gewann. Die bayerische AG gilt als ein wenig mysteriös, weil sie nicht allzu tief in ihr verschachteltes Konstrukt blicken lässt. Ein paar Wirtschaftsblätter waren voll des Lobes über den agilen Wolfgang Egger, der das Unternehmen vor 28 Jahren gegründet und es an die Börse gebracht hat. Wie zufällig hatte an diesem Tag einer der Anteilseigner neben Wolfgang Egger, die AXA Investment Managers S. A. aus Paris, an der Börse ihren Aktienanteil an der Patrizia auf über drei Prozent aufgestockt. Der Patrizia-Kurs machte in den folgenden Tagen einen Sprung um über 16 Prozent nach oben.
Wer ist Patrizia? Die Insider sagen: Wolfgang Egger. Initialen WE, die auch für eine „WE Vermögensverwaltung GmbH & Co. KG“ stehen, der wiederum eine gewisse „First Capital Partner GmbH“ gehört. Ab dann wird es kompliziert und verschachtelt. Jener First Capital mit Egger im Hintergrund gehören rund 70 Firmen, über den halben Globus verteilt. Im Portfolio sind Biotech-Unternehmen, vor allem aber Immobilienfirmen in Deutschland, Österreich, der Türkei, Chile oder Luxemburg.
Andere befürchten, dass ein gewisser Matthias Moser eine entscheidende Rolle – auch bei dem Stuttgart-Deal – spielt. Moser gehörte früher zu einer waschechten Heuschrecke, dem US-Hedgefonds Fortress, der über seine Luxemburger Immobilientochter Gagfah S. A. fast 50.000 Wohnungen in Dresden aufkaufte und die Stadt damit schuldenfrei machte. Als es Streit um die Sozialcharta gegeben hatte, drohten millionenschwere Klagen der Stadt Dresden, und Matthias Moser griff auf Seiten der heftig attackierten Immobilienbranche zu drastischen Worten. Es drohe, erklärte er Medienberichten zufolge, vor Gericht in finanzieller Hinsicht „ein Blutbad“. Der Fall Dresden ist noch offen. Im April 2011 wechselte Matthias Moser zu Patrizia.
Seit die Stuttgarter Operation „Projekt Carl“ in trockenen Tüchern ist, weil das offiziellen Angaben zufolge „von Patrizia gemanagte Versicherungs-Konsortium“ beim Kaufpreis von 1,435 Milliarden Euro 30 Millionen mehr geboten hatte als das Stuttgarter Konsortium, rätselt die Öffentlichkeit über die bayerischen Hintergründe. Wolfgang Eggers Unternehmen setzt jährlich knapp 340 Millionen Euro um und bezahlt nur zwei Prozent des Kaufpreises, gilt aber dennoch als Branchengröße. Patrizia schwört auf seine sozialen Standards, aber die gerade so umstrittene Sozialcharta hat das Unternehmen nicht. Stattdessen verpflichtet es sich auf die Einhaltung der LBBW-Sozialcharta.
Dort ist aber vieles fraglich und umstritten. Etwa der Passus, wonach durchschnittliche Mietsteigerungen auf drei Prozent begrenzt seien, und das auch nur für eine „Bestandsschutzzeit“ von fünf Jahren. Problematisch ist nicht nur der Zeitraum von lediglich fünf Jahren, sondern auch das Wörtchen „durchschnittlich“. Was wäre, wenn die neuen Eigentümer etwa bei jenen knapp 2.000 durch Stuttgart 21 aufgewerteten Wohnungen am Nordbahnhof kräftig die Miete erhöhten, bei anderen aber nicht? Sie blieben insgesamt womöglich immer noch unter der Dreiprozenthürde.
Der „Lebensraum-Provider“ aus dem Freistaat Bayern
So sozial sich Patrizia in manchen Wirtschaftsmedien zu präsentieren vermag, der Stuttgarter Mieterbund hat über Egger & Co auch schlechte Nachrichten gehört. Etwa aus Bayern, wo Patrizia ebenfalls in großem Stil Wohnungen aufkaufte und anschließend, so Rolf Gaßmann, als Umwandler und Vermarkter aufgetreten war. In schöner Regelmäßigkeit publiziert die Patrizia wegen ihrer Börsennotierung sogenannte Pflichtmitteilungen. Und immer wieder taucht darin das Wort vom „Blockverkauf“ und der „Wohnungsprivatisierung“ über „Selbstnutzer“ oder „Kapitalanleger“ auf. Was aber, wenn ein Mieter mangels Geld partout nicht „Selbstnutzer“, also Käufer, werden kann?
Noch stimmt das öffentlich gezeichnete Image der Bayern. Noch hält dieses Bild. Erst unlängst ließ sich Patrizia-Boss Wolfgang Egger mit einem hübschen Satz zitieren. Seine AG ist nicht einfach nur ein Immobilien-Unternehmen, sondern „ein Lebensraum-Provider“.