Die Jagd nach den verbotenen Bildern

Der Kampf gegen Kinderpornographie: Hamburgs Polizei sieht sich einer wachsenden Zahl von Fällen gegenüber. Die Darstellungen werden immer härter, die Opfer immer jünger – und die Täter immer professioneller

Von Marco Carini

Nicht selten beginnt ihr Arbeitstag um fünf Uhr morgens. Dann schwärmen die Polizeifahnder, bewaffnet mit einem Durchsuchungsbeschluss und leeren Umzugskartons, aus, um Disketten, Festplatten und andere Datenträger sicherzustellen. „Wir warten nicht, bis die Beschuldigten zur Arbeit fahren“, verrät Kriminalhauptkommissar Axel Podlech. 142-mal klingelten seine Ermittler im vergangenen Jahr in aller Herrgottsfrühe an Hamburger Haustüren. Wer von ihnen Besuch bekommt, hat ein Problem – denn er hat mit ziemlicher Sicherheit kinderpornographische Fotos auf seinem Rechner. So wie der ehemalige CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Clemens Nieting, den die Fahnder in den Morgenstunden des 30. März in seiner Langenhorner Wohnung aufsuchten.

Tatort Internet: Täglich bekommen Podlech, Leiter der Abteilung Sexualdelikte des Landeskriminalamtes (LKA), und sein Chefermittler Hans-Christian Kaiser neue Fälle auf den Tisch. Stets geht es um Männer, die im Verdacht stehen, kinderpornographische Fotos gespeichert oder sich auf einschlägigen Internetseiten getummelt zu haben. Podlech spricht „von deutlich steigenden Fallzahlen“.

Allein im vorigen Jahr hat sich die Zahl der eingeleiteten Strafverfahren in diesem Bereich mehr als verdoppelt. Ermittelte das LKA 2003 noch gegen 275 Beschuldigte, so standen 2004 bereits 595 Verdächtigte im Fokus der Fahnder. Doch das ist, wissen die Ermittler, nur „die Spitze des Eisbergs“. Nach Polizeischätzungen gibt es bundesweit 50.000 bis 60.000 Pädokriminelle.

Überstunden ohne Ende

Nur fünf Mitarbeiter des LKA kümmern sich um die Sammler der verbotenen Bilder. Für „anlassunabhängige Ermittlungen“ im Internet, also die gezielte Suche nach Websites mit kinderpornographischen Darstellungen, bleibt da keine Zeit. Systematisch werden deshalb allein die Hinweise abgearbeitet, die aus der Bevölkerung und von anderen Polizeidienststellen aus dem Bundesgebiet zugehen. Doch die Fülle der Hinweise ist so groß, dass deren Bearbeitung oft monatelang dauert, obwohl die Kripo-Mitarbeiter nach eigenem Bekunden „Überstunden ohne Ende vor sich herschieben“.

So geht aus einer Senatsdrucksache vom vergangenen Oktober hervor, dass die Bearbeitung kinderpornographischer Internetinhalte „bis zu 20 Monaten dauert“. Kein Wunder also, dass SPD-Innenexperte Andreas Dressel klagt: „Hamburg schiebt die Bekämpfung von Kinderpornographie auf die lange Bank.“ Besonders schlimm: Da die unterbesetzte polizeiliche Kriminaltechnik gesetzliche Fristen oft nicht einhalten kann, müssen immer wieder beschlagnahmte Festplatten unbesehen an Beschuldigte zurückgegeben werden – obwohl die Ermittler sich meist sicher sind, dass hier Misshandlungsbilder gespeichert sind.

Die Jagd nach den Pädokriminellen funktioniert nach dem Schneeballsystem. „Wer solche Bilder besitzt, verbreitet sie in der Regel weiter, so dass fast jeder Fall eine Vielzahl neuer Fälle nachzieht, die dann wieder zu weiteren Verdächtigen führen“, erklärt Kaiser das explosionsartige Anwachsen der Verdächtigenzahlen. So geriet Nieting durch ein Ermittlungsverfahren gegen einen Verdächtigen im baden-württembergischen Tuttlingen, mit dem der Politiker im virtuellen Kontakt gestanden hatte, ins Blickfeld der Polizei. Dessen Daten wiederum waren bei einem Beschuldigten aus Ludwigsburg gefunden worden.

„95 Prozent unserer Arbeit sind fremdbestimmt“, klagt Chefermittler Kaiser. Oft über Stunden werten er und seine Mitarbeiter Bilddateien aus, kontrollieren sie auf ihre Strafbarkeit. „Nicht jedes Kindernacktbild ist gleich Kinderpornographie“, sagt Kaiser. Kinderpornographie umfasst allein die „Darstellung sexuellen Missbrauchs“ an unter 14-Jährigen. Zeichnet sich bei den dargestellten Mädchen ein deutlicher Brustansatz ab oder haben die Opfer bereits eine ausgeprägte Schambehaarung, misslingt fast immer der Beweis, dass es sich um strafbare Darstellungen handelt.

Technische Hilfe leistet das Suchprogramm „Perkeo“. Es erkennt beim Durchforsten sichergestellter Datenträger einschlägige Bilder. Zwar kann das Programm nur einen Bruchteil der auf dem Markt erhältlichen Misshandlungsdarstellungen identifizieren, doch liefern seine Treffer den Polizeibeamten oft wichtige Hinweise darauf, in welchen Bereichen eines Datenträgers die verbotenen Fotos versteckt wurden. Kann die automatisierte Auswertung kein bekanntes Bild identifizieren, heißt das nicht, dass in dem Speichermedium tatsächlich keine verbotenen Dateien versteckt sind. Hatten bis Mitte der 90er Jahre die unter der Ladentheke erhältlichen Lolita-Magazine aus Dänemark Hochkonjunktur, so hat laut Kaiser „etwa ab 1997“ die Verbreitung kinderpornographischer Inhalte im Internet sprunghaft zugenommen.

Und die Bilder werden immer grausamer, die Opfer immer jünger. „Es geht inzwischen auch um Babys“, sagt Kaiser. „Ich könnte den Blick auf diese Bilder nicht ständig ertragen“, verrät Podlech, dem als Abteilungsleiter die tägliche Foto-Visite erspart bleibt: „Wenn Säuglinge misshandelt werden oder junge Mädchen mit zerpeitschtem Körper abgebildet werden, kann kein Ermittler emotionslos mit diesem Grauen umgehen.“

Fast immer nur Geldstrafe

„Die meisten Täter haben überhaupt kein Schuldbewusstsein“, klagt der Hauptkommissar: „Die bagatellisieren ‚die paar hundert Bilderchen‘ auf ihrem Computer und wollen nicht sehen, dass es dieses Geschäft mit der Ware Kind nur gibt, weil Männer wie sie für solche Fotos zahlen. Und sie vergessen auch, dass die Heranwachsenden, die missbraucht werden, für ihr ganzes Leben kaputtgemacht werden.“

Während etwa in den USA der Besitz und die Verbreitung kinderpornographischer Darstellungen als „Beihilfe zu sexuellem Missbrauch“ mit langjährigen Gefängnisstrafen geahndet wird, kommen in Deutschland die Täter fast immer mit einer Geldstrafe davon. Während viele seiner Kollegen härtere Strafen für Kinderpornofoto-Sammler fordern, hält Podlech die Erhöhung des Strafrahmens für kein Allheilmittel: „Das reduziert die Fallzahlen auch nicht.“

„Die Beschuldigten kommen aus allen Schichten und Berufen“, musste der Beamte erfahren, nicht wenige von ihnen sind Familienväter. Ein ganz „schlechtes Gefühl“ hat der Hauptkommissar, wenn Kindergärtner, Lehrer oder Betreuer von Sportvereinen ins Visier geraten: „Die Angst, dass solche Männer irgendwann mit ihren Phantasien nicht mehr auskommen und zum Missbrauch übergehen, ist für uns dann immer präsent.“

Gerät ein Pädagoge ins Fadenkreuz der Ermittlungen, ist den Fahndern kein Aufwand zu groß, um den Verdächtigen zu überführen. Wie etwa bei einem Grundschullehrer, der die Dateien seiner Festplatte so professionell verschlüsselte, dass es bislang weder den Technikern der Hamburger Polizei noch den Spezialisten des Bundeskriminalamtes gelungen ist, den Code zu knacken. Mittlerweile bemühen sich die Experten der Technischen Universität Hannover darum, die verborgenen Daten auf der Festplatte sichtbar zu machen. „Wir werden nicht ruhen, bis uns die Entschlüsselung gelungen ist“, verspricht Kaiser.

Aber nicht nur Verschlüsselungstechniken machen den Ermittlern das Leben schwer. Immer häufiger tauchen Päderasten in diverse verborgene Tiefen des Internets ab. Geschlossene Chatrooms und so genannte per-to-per-Tauschbörsen, die für Dritte unzugänglich sind, schützen den Bilder- und Videotausch vor fremden Blicken.

Enge rechtliche Grenzen

Verdeckte Ermittlungen stoßen hier auf enge rechtliche Grenzen, denn den Fahndern sind „die Hände oft gebunden“, sagt Podlech: „Wenn ein Beamter in einem Chatroom inkognito Kontakt mit einem Verdächtigen aufnimmt, wird sein Anwalt später behaupten, erst unsere Arbeit habe beim Mandanten den Tatentschluss geweckt und damit zu der Straftat geführt.“

Wo die Kripo passen muss, recherchieren immer häufiger Privatleute im Netz, die helfen wollen, die Kinderporno-Flut einzudämmen. Doch Detektivarbeit auf eigene Faust ist riskant: Wer im Internet fündig wird oder den Kontakt zu einem Weiterverbreiter kinderpornographischer Bilder aufbaut, steht selbst schon fast als Angeklagter vor Gericht. Auch bei angeblich guten Absichten bleibt der Zugang zu Kinderpornographie verboten.

Dass Nieting die bei ihm entdeckten Misshandlungs-Dateien für eine angeblich geplante, aber nie durchgeführte CDU-Kampagne gegen Kinderpornographie gespeichert haben will, schützt ihn juristisch kaum. Für User, die zufällig im Netz auf Kinderpornographie stoßen oder Mails mit entsprechenden Anhängen erhalten, gibt es nur eine Alternative: Den Vorgang sofort unter lka423@polizei.hamburg.de der Polizei zu melden.

Nieting versäumte diesen Schritt – es könnte dem Mann den Hals brechen.