Heraus zum Alexanderplatz

Der 8. Mai ist in Berlin nicht nur der Tag der Befreiung vor 60 Jahren. Er kann auch der Tag sein, an dem sich die Zivilgesellschaft den Nazis entgegenstellt und ihren Aufzug durch Mitte verhindert

VON UWE RADA

Es spricht vieles dafür, dass am 8. Mai das gängige Demonstrationsvokabular neu geschrieben werden muss. Bislang waren es „Antifas“, „Linke“ oder allenfalls „Gegendemonstraten“, die sich dem Aufmarsch von „Nazis“, „Kameradschaften“ oder „NPD-Kadern“ entgegenstellten. Wie aber soll man nennen, was sich am Sonntag aufmacht zum Alexanderplatz, zumindest aber zum Brandenburger Tor? Das „andere Berlin“? Das würde bedeuten, dass das Mehrheitsberlin mit den Nazis sympathisiert. Das „aufrechte Berlin“? Unter den Gegendemonstranten werden auch CDU-Politiker sein, die gegen den Ausschluss des braunen Kreischefs Herbert Weber aus der Partei votiert haben. Dann also doch: Zivilgesellschaft?

Zunächst einmal wäre der Begriff nicht ganz korrekt, weil es im wesentlichen Politiker waren, die den Rahmen für die Gegenaktionen und -demonstrationen am 7. und 8. Mai geschaffen haben. Mit der Anmeldung des „Tages für Demokratie“ haben sie der NPD die Möglichkeit genommen, sich bis zum Brandenburger Tor durchzuklagen. Darüber hinaus markiert der Begriff eine politische Akzentverschiebung in den Neunzigerjahren – weg von den sozialen Bewegungen, hin zur Arbeit von Nichregierungsorganisationen, Stiftungen, einzelnen Prominenten.

Beide Unkorrektheiten aber sind keine Gegenargumente. Der Berliner Senat und auch die Oppositionsparteien haben den 8. Mai nicht für sich ins Anspruch genommen, sondern ihn von Anfang mit verschiedenen Organisationen geteilt. Und ist nicht das bunte Spektrum von Demonstrationen, Lichterketten, Feiern und Sonntagsreden ein Beweis dafür, dass es die politische Akzentverschiebung tatsächlich gibt, dass sich die Zivilgesellschaft einmischt und nicht denen das Feld überlässt, die bei solchen Anlässen sonst auf die Straße ziehen?

Müßig zu sagen, dass zu dieser Zivilgesellschaft auch die Berliner Polizei gehört. Zwar hat Innensenator Ehrhart Körting (SPD) angekündigt, Ordnungswidrigkeiten und Straftaten seitens der Gegendemonstranten nicht hinnehmen zu wollen. Zwischen den Zeilen hat Körting allerdings angedeutet, dass eine Blockade der Demoroute für die Beamten ein Anlass sein könnte, den NPD-Aufzug abzubrechen.

Mit diesem Gedankenspiel hat Körting die Zivilgesellschaft um jenes Handeln bereichert, das sie braucht, um nicht zur Staffage von Regierungshandeln zu werden: Zivilcourage. Er selbst hat sie bewiesen, und er fordert sie – indirekt – auch von den andern. Dies setzt freilich voraus, die Polizei am 8. Mai nicht als Gegner zu betrachten, sondern das Angebot anzunehmen.

Ein erfolgreicher Tag für Berlin wäre es, wenn die NPD, egal wie viele Anhänger sie mobilisiert, unverrichteter Dinge vom Alexanderplatz wieder abziehen müsste. Das Demonstrationsvokabular wäre tatsächlich um ein Ereignis reicher. Fatal dagegen wäre, wenn es der NPD gelänge, Auseinandersetzungen zwischen Polizei und einigen Steinewerfern zu provozieren.