Das arme scheue Reh

Zur Kapitalismuskritik durch den gar nicht schamesroten Sozialdemokraten Müntefering

Scheu beäst das Wild den deutschen Wald und flieht sofort, wenn man es triezt

Kaum geäußert, hatte sich die unbegreiflicherweise immer noch heftigst bekakelte Kapitalismuskritik Franz Münteferings als harmlose Schimpfeschimpfe und lediglich wahlkampftaktisch motivierte Schimäre entpuppt, die sich höchstens als Talkshowthema für Doofe („Berlin-Mitte“) und ganz Doofe („Sabine Christiansen“) eignet. Ansonsten aber ist Münteferings so genannte Schelte am organisierten Abgreifertum nicht mal das Taschentuch wert, mit dem er sich neulich in Duisburg das Eigelb vom Revers wischte.

Ausgerechnet der SPD-Chef und damit einer der willfährigsten Handlanger des Kapitals, ausgerechnet der Agenda-Vorsitzende, dieser nicht mal mehr schamesrote Sozialabbauer und Schlagmann des deutschen Hartz-Vierers gibt jetzt vor, jenes scheue Reh scheuchen zu wollen, das, wie momentan wieder allenthalben behauptet wird, das Kapital angeblich ist.

Das muss man sich übrigens mal vorstellen: das hiesige Kapital als ein den deutschen Wald scheu beäsendes Wild, welches diesen sofort fliehe, wenn man es gar zu doll trieze. Unschärfer entwickelt war ein Bild selten. Denn bekanntlich schleicht das Kapital keineswegs durch die Forste, um mal hier an einem Pflänzchen zu naschen, dort einen kleinen Trieb zu beknabbern und mit seiner Losung das Terrain zu düngen. Frech, fett und gefräßig drängt es zu den kommod eingerichteten Futtertrögen, die ihm beflissene Nimrods vom Schlage Schröder, Clement und Müntefering zahlreich in den ansonsten restlos geplünderten Wäldern aufgestellt haben und diese zudem ständig wieder randvoll auffüllen, auf dass das Kapital auch immerzu ordentlich genährt sei, ohne auch nur selbst einen Schlag dafür zu tun. Von wegen scheu!

Wenig zaghaft war auch das Getöse, welches das Sauerländer Würstchen Müntefering mit seinen Binsenweisheiten über die auf Ausbeutung, Diebstahl, Geiz und Gier abonnierte deutsche Geldbagage bei selbiger auslöste. Vor allem dessen Anführer röhrten noch mehr als sowieso schon herum. „Wir Unternehmer sind empört, als marktradikal und asozial bezeichnet zu werden“, quietschte etwa Jürgen Thumann, Chef der deutschen Industrielobby, und ist zu Recht verärgert darüber, dass einer wie er als asozial nur bezeichnet wird, obwohl er doch bekennend asozial ist. Auch Bernd Gottschalk, Präsident des deutschen Autoindustrieverbands und gleichfalls einer von denen, die anderen ständig trocken Brot predigen, selbst aber nur Pralinen fressen wollen, gibt sich schwer attackiert: „Wir werden keine Arbeitsplätze schaffen, wenn wir Unternehmen attackieren“, lamentierte er scheinheilig. Denn das haben er und seinesgleichen in den vergangenen Jahren hinlänglich bewiesen: Sie schaffen, auch ohne von Müntefering oder sonst einer Vogelscheuche behelligt zu werden, keine Arbeitsplätze. Eher im Gegenteil. Oder wie es sein Kumpan im Löhne-senken, Rendite-erhöhen und Gewinne-einstreichen, der schwäbische Gierlappen und BDI-Vize Michael Rogowski, ganz unzweideutig formulierte: „Es ist nicht Aufgabe der Unternehmen, Arbeitsplätze zu schaffen, sondern Werte für die Kunden.“

Wenn sie das wenigstens täten. Billiger Plunder ist’s offenkundig, den die Unternehmen derzeit vorrangig produzieren, jedenfalls von so geringer Attraktivität, dass sich die einheimische Kundschaft deren Kauf verweigert. Werte für die Kunden! Da lachen ja nicht mal die Hühner. Und die haben dazu auch hoffentlich keine Zeit. Die sollen gefälligst Eier legen. Davon immerhin werden bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen noch jede Menge benötigt. Mögen sie in der Dichte eines biblischen Heuschreckenschwarms auf Franz Müntefering und seine tumben Brüder zur Sonne und zur Freiheit niederprasseln. Danach aber geht garantiert alles wieder seinen bisherigen, nämlich frühkapitalistischen Gang, das ist so sicher wie das geistige Armenhaus SPD auf den Fundamenten des Kapitals gebaut ist. FRITZ TIETZ