Sturm im Teeglas

Die nationalistische Welle schwappt aus der Türkei auch nach Deutschland. Eine unrühmliche Rolle spielt dabei wieder einmal die Zeitung „Hürriyet“

VON DANIEL BAX

Der „angebliche Völkermord“ an den Armeniern und der europäische Umgang damit: Kein anderes Thema eignet sich so gut, um die Paranoia türkischer Nationalisten anzustacheln. Während das Gedenken an die Massenmorde im Osmanischen Reich, die sich im vergangenen Monat zum 90. Mal jährten, vielerorts längst wieder von anderen Themen verdrängt wurde, bietet es nationalistischen Kreisen in der Türkei weiterhin Anlass, ihr Land von inneren und äußeren Feinden umstellt zu sehen.

Dass deren nationalistische Aufwallungen aus der Türkei auch nach Deutschland schwappen, dafür sorgt die Hürriyet, die auflagenstärkste türkische Zeitung in Deutschland, mit unermüdlichem Fleiß. In ihrer Europaausgabe dominiert seit Wochen nur ein Thema: Ob im Berliner Abgeordnetenhaus eine Gedenkveranstaltung stattfindet, ob in Braunschweig oder in Bremen ein kleines Denkmal für die Opfer der Armenierpogrome eingeweiht wird – fast jeden Tag zieht die Hürriyet bis heute ein neues Thema hoch, das ihrer Meinung nach den Einfluss einer „armenischen Lobby“ beweist.

Denn aus ihrer Haltung macht die Hürriyet keinen Hehl: Wenn sich in Braunschweig 300 Gegendemonstranten zusammenfinden, um mit einer Flaggenparade gegen die Einweihung des Denkmals zu protestieren, werden sie mit Lob bedacht. Wer sich aber entzieht oder gar der „Behauptung eines Völkermords“ zustimmt, der muss mit Konsequenzen rechnen: Türkischstämmige Politiker und Verbände werden unter Druck gesetzt, sich für die nationale Sache zu engagieren. Wer dagegen von einem Genozid spricht, wird als „soykirimci“, als „Völkermördler“, diffamiert – die Wortschöpfung gilt den „Anhängern der Völkermordthese“, klingt aber nicht zufällig nach der Bezeichnung für einen Täter.

Mit dieser Bezeichnung bedacht wurde zuletzt auch der Schriftsteller Zafer Șenocak, der in einem taz-Kommentar geschrieben hatte, die Türkei müsse sich ihrer historischen Verantwortung stellen. Dafür wurde er von der Hürriyet als „deutsche Filiale von Orhan Pamuk“ tituliert: Der Schriftsteller aus Istanbul hatte in einem Interview mit dem Schweizer Tages-Anzeiger beklagt, in seinem Land seien 30.000 Kurden und eine Million Armenier ermordet worden.

Die Berichterstattung der deutschen Hürriyet-Redaktion wirkt nicht nur deshalb anachronistisch, weil die Debatte in der Türkei längst vielstimmiger ist; auch die Tageszeitung Milliyet, die zur gleichen Verlagsgruppe gehört, schlägt in ihrer Deutschlandausgabe deutlich moderatere Töne an. Sie wirkt auch wie ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten. Denn Mitte der Neunzigerjahre, zur Hochzeit des Kurdenkonflikts, hatte die nationalkonservative Hürriyet alle Kritiker der Türkei quasi zu Landesverrätern gestempelt, unter dem neuen Chefredakteur der Deutschlandausgabe Ali Güven aber zuletzt einen liberaleren Kurs eingeschlagen.

Mit ihrer aktuellen Kampagne zeigt sich die Hürriyet wieder mehr den Interessen des türkischen Staates als den Interessen ihrer Leser verpflichtet.

Zum Glück kümmern sich die meisten Türken in Deutschland nicht sonderlich um die Scharfmacherei. Nimmt man die magere Beteiligung an den Gegenveranstaltungen zum Maßstab, dann gleicht die Wirkung der Kampagne einem Sturm im Teeglas – was aber nichts daran ändert, dass sich die namentlich Angegriffenen von der Hürriyet-Hetze bedroht fühlen.