FDP plötzlich gegen Lauschangriff

Nach zehn Jahren Pause wollen die Liberalen jetzt wieder eine Bürgerrechtspartei sein. Damit wollen sie den Grünen Wähler abspenstig machen – und Joschka Fischer beerben

KÖLN taz ■ Eine Bewerbungsrede stand gestern im Mittelpunkt des FDP-Parteitags in Köln. Fraktionschef Wolfgang Gerhardt empfahl sich als künftiger Außenminister. Wenn es nur nach den 662 Delegierten ginge, dann bekäme er den Job. Sie applaudierten ihrem Exvorsitzenden drei Minuten und 45 Sekunden lang. Nachfolger Guido Westerwelle hatte es am Vortag auf 3 Minuten und 20 Sekunden gebracht. „Fast auf die Sekunde genauso lang“, sagte dazu die Tagungsleitung.

Freude bereitete Gerhardt seinem Publikum vor allem mit scharfen Angriffen auf Außenminister Joschka Fischer. Er habe in der Visa-Angelegenheit zugegeben, die Lage nicht überblickt zu haben. „Klarer können Fehler in der politischen Verantwortung ja überhaupt nicht offen gelegt werden.“ Die üblichen Konsequenzen daraus seien jedoch „bei Joseph Fischer völlig außer Kraft gesetzt“.

Kritik übte der Bewerber auch an Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die deutsche Außenpolitik wirke gegenwärtig „wie ausgezehrt“. Gerhardt mahnte eine größere Berücksichtigung der Menschenrechtsfrage an. Bemühungen um eine Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China bezeichnete er als „gewaltigen politischen Fehler“. Absurd sei es, wenn der Bundeskanzler den russischen Präsidenten Putin als „lupenreinen Demokraten“ bezeichne, gegenüber den USA jedoch „mit dem Megafon“ gesprochen werde.

Breiten Raum nahm in der Rede die Zukunft der Europäischen Union ein. „Es gibt irgendwann Grenzen der Erweiterung“, erklärte der FDP-Fraktionschef. Er betonte, bei den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müsse auch die Option offen bleiben, dass das Land kein Vollmitglied der Union werde.

Wolfgang Gerhardt berief sich auf die Ideengeschichte des politischen Liberalismus: „Sie ist das Beste, was wir haben.“ Damit wärmte er auch den erstarkenden Bürgerrechtlern der Partei die Gemüter. Die Bürgerrechte sollen das neue Herz der oft als „kalt“ gescholtenen Partei werden – mit dem Nebeneffekt, dass die Liberalen damit auch im Wählerpool der Grünen fischen könnten, wie Gerhardt andernorts schon angedeutet hat. Nicht zuletzt wird in einer Regierungskoalition mit der CDU ab 2006 auch wieder Abgrenzungsmaterial gebraucht.

Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bestritt gestern, dass man überhaupt von einer „Wieder“-Entdeckung der Bürgerrechte reden könne. Doch erklärte sie auch: „Es gab da in der Vergangenheit Leute, die fühlten sich etwas allein gelassen.“ Parteichef Guido Westerwelle verstand und ehrte sie: „Bei jedem Abbau der Bürgerrechte“ unter Rot-Grün sei „die Fraktion jedes Mal standhaft“ geblieben, habe sich auch „einsam gegen eine riesengroße rot-grün-schwarze Koalition“ gestellt.

Philipp Burkert von den Jungen Liberalen freute sich, dass die Julis „jetzt wieder zusammen mit der FDP“ für Bürgerrechte kämpfen. Als Erfolg durften die Julis gestern verbuchen, dass ihr Antrag auf eine Ablehnung des großen Lauschangriffs eine Mehrheit fand – zehn Jahre nachdem ein Mitgliederentscheid zum selben Thema das Ende der FDP als Bürgerrechtspartei eingeläutet hatte.

Wenig überzeugt vom neuen Bürgerrechtskurs klang Burkhard Hirsch, der Mitte der 90er-Jahre gemeinsam mit Leutheusser-Schnarrenberger seine Ämter hingeworfen hatte. „Wir haben uns viel zu sehr in die Verteidigung begeben“, sagte Hirsch gestern. Der Lauschangriff und die Zustimmung zum EU-Haftbefehl seien liberale „Sündenfälle“ gewesen.

Nach dem biblischen Sündenfall gab es bekanntermaßen kein Zurück. BETTINA GAUS
ULRIKE WINKELMANN