Fest in Frauenhänden

Die Macht des rezitierten Wortes für drei Schauspieler. Ernst Stötzner inszeniert die Nietzsche Trilogie von Einar Schleef an den Bochumer Kammerspielen. Gegen Dynamit setzt er gewalttätige Leere

VON PETER ORTMANN

Einar Schleef ist tot. Gott auch. Oder war das ein und dieselbe Person? An den Bochumer Kammerspielen hat es der Ensemble-Schauspieler Ernst Stötzner gewagt, als Regisseur mit Schleefschem Dynamit zu spielen – er hat es überlebt.

Die Nietzsche Trilogie, an der der Meister der theatralischen Massenauftritte rund ein Jahrzehnt gearbeitet hat und deren Inszenierung und die Übernahme der Hauptrolle er nicht mehr selbst hat verwirklichen können, ist eines der Vermächtnisse des Regiehelden. In drei Teilen (“Gewöhnlicher Abend“, „Messer und Gabel“, „Ettersberg“) zeigt Schleef den deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche in seinen letzten Lebensjahren, als der einst vordenkende philosophische Unruheherd körperlich und geistig verfallen in der erstickenden Umarmung von Mutter und Schwester dahinsiecht.

Ungeheure Textmengen haben die drei SchauspielerInnen in drei Stunden zu verarbeiten. Langweilig wird das nie, im Gegenteil, die Sucht nach mehr kann am Ende nur durch ein hartes Black entzogen werden. Auch wenn das Stück „nur“ das letzte Lebensumfeld Nietzsches beleuchtet, Einar Schleef selbst trieft aus allen Poren und sein jahrzehntelanger Schweiß ist immer noch ein besonderer Würzstoff in der zeitgenössischen Theaterwassersuppe. Regisseur Stötzner spielt den Sohn Nietzsche selbst, Margit Carstensen die Mutter und Dörte Lyssewski die Schwester. Ein Bühnenbild braucht es dafür nicht. Lediglich ein Mobile aus Laterne und silberner Kugel dreht ausgewogen und unmerklich seine Kreise, wie eine spiegelnde Welt um eine glimmende Sonne. Wie Geier umkreisen die beiden Frauen den durchgedrehten Fritz, zerren bereits an seinem unvererbten Nachlass, an seinem hilflosen ungestorbenen Körper und an sich selbst. Alles scheint historisch belegt. Auch die Flucht Nietzsches aus dem engen Frauenhaus, als er erst unbekleidet deklamierend auf den Straßen Jenas wieder aufgefunden wird.

„Lass uns hier Feuerstellen errichten,“ sagt ein visionärer Friedrich. Am Schluss in „Ettersberg“ hetzt Schleef Bruder und Schwester Neujahr 1900 in Weimar auf Goethes Geist. „Hier fühlt man sich groß und frei“ deklamierte der Dichterfürst über den Hügel, der später auch das KZ Buchenwald ertragen musste.