Auch mit Vollbart glücklich

Zehn Norweger für ein Progrock-Halleluja: Die Riesencombo Jaga Jazzist wollte bei ihrem Berliner Konzert mal wieder ziemlich viel und gab auch alles im Maria

Jaga Jazzist zu hören ist wie das Parteiprogramm der Grünen zu lesen. Die Band scheint es jedem recht machen und niemanden ausschließen zu wollen, und um was es wirklich geht, weiß man am Ende natürlich trotzdem nicht. Verblüffenderweise gäbe es auch auf drei komplett unterschiedliche Fragen immer eine richtige Antwort. Wie sollte Jazz heute klingen? Wie Rock? Wie elektronische Musik? Die Antwort lautet: Am besten so wie Jaga Jazzist. Das zumindest denkt man sich, bevor man auf das Konzert der Riesencombo aus Norwegen geht. Am Ende ihres Auftritts ist man sich da nicht mehr so sicher. Doch der Reihe nach.

Der Anspruch von Jaga Jazzist ist es, unheimlich viel zu wollen, und dies scheint man schon allein in der schieren Anzahl an Bandmitgliedern ausdrücken zu wollen. Sage und schreibe zehn Musiker drückten sich auf der Bühne der Maria herum, ein elfter hätte auch kaum noch Platz gehabt. Alle sahen so aus, wie echte Norweger auszusehen haben. Man trug Bart, gerne Vollbart und Klamotten, die eher praktisch als irgendwie hip wirkten.

Es geht bei Jaga Jazzist um Klangvielfalt, um die Aufarbeitung von Musikgeschichte, um die Frage, ob es nach Postrock auch noch so etwas wie Postpostrock geben könnte, es geht eigentlich um alles, und dafür sollten zehn Musiker wohl kaum zu viel sein, oder? Vielleicht doch. Denn teilweise geriet der Auftritt zu einer Art Unterhaltung unter Musikern, Stichwort: Jam. Die Band schien sich manchmal doch ein wenig zu sehr selbst zu genügen, jeder blies, schrubbte oder zupfte sich gegenseitig etwas zu und vergaß dann auch mal für eine Weile alles andere um sich herum. Und da man zu zehnt war und sich ganz gut kennt, schien man sich richtig viel zu erzählen zu haben.

Schon in einigen Rezensionen zur aktuellen Platte von Jaga Jazzist wurde Progrock-Alarm ausgerufen. Die Band aus Oslo würde auf „What We Must“ streckenweise daddeln wie Weather Report und sich unnötig verkunsten, hieß es. Live machten sich Jaga Jazzist bezüglich derartiger Vorwürfe definitiv schuldig. Dennoch, böse kann man der Band deshalb nicht sein, denn dieser Hang zum Scheitern macht die Musik dieser seltsamen Formation zum Teil ja gerade aus. Dafür, dass sie immer ein wenig zu viel will – hier noch einen Break, dort ein Bläserpart und jetzt wieder alle zusammen, und dann mal schauen, wohin uns das gemeinsam führt –, dafür liebt man diese Band ja auch.

Der Auftritt war somit immer beides: schrecklich und großartig gleichzeitig. Mit derartigen Uneindeutigkeiten muss man hier leben, bei dieser Band geht es eigentlich immer um das Aushalten von Widersprüchen, alles baut bei ihnen darauf auf. So erscheinen ihre Platten bei Ninja Tune, einem englischen Dancelabel. Sie haben selbst nichts gegen Dance, machen aber lieber Rock, Jazz und Jazzrock. Sie kommen aus Norwegen, haben aber weder so tolle Frisuren wie all die neuen Garagenrockbands aus diesem Land, noch haben sie etwas mit deren Lederjacken-Rock zu tun. Dennoch waren im Publikum bestimmt einige, die sich eher hierhin verirrt haben, weil sie davon gehört hatten, eine dieser superangesagten skandinavischen Rockbands würde in der Maria auftreten.

Jaga Jazzist haben sich an all diese Missverständnisse gewöhnt. An einer Stelle des Konzerts kündigte der Schlagzeuger ein etwas elektronischeres Stück an und schien innerlich zu seufzen, als er sagte, dass wegen einem Stück wie diesem die Platten seiner Band in den Plattenläden immer im Techno-Fach einsortiert würden. Doch gleichzeitig weiß er ja auch, dass dies ja nicht mal schlecht ist. Denn wer sich in dem Plattenladen dann weiter umschaut, wird feststellen, dass im Rock- und Jazz-Fach ebenfalls eine seiner Platten steht. ANDREAS HARTMANN