Nazis bleiben hinterm Gatter

Das Gedenkwochenende in der Hauptstadt schließt mit einem überzeugenden Ende: Weil sich den 2.200 Neonazis 15.000 Gegendemonstranten in den Weg stellen, wird der NPD-Aufmarsch abgesagt

VON PHILIPP GESSLER

Zwei Tage Fest, ein Tag lang offizielles Gedenken, ein Nachmittag voll Demonstrationen, schließlich ein überzeugendes Ende – so verlief in der Hauptstadt das seit Monaten mit Spannung erwartete große Gedenkwochenende zum Ende des Krieges vor 60 Jahren.

Um den Gang von Neonazis zu verhindern, hatten zivilgesellschaftliche Gruppen, Kirchen, Gewerkschaften und Parteien schon am Samstag zu einem großen Fest gerufen. Bei viel Musik, wohl meinenden Reden auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor und an unzähligen Fressbuden lassen es sich die Berlinerinnen und Berliner gut gehen: Demokratie – schön und gut, aber Essen und Trinken müssen auch stimmen. Etwas gezielter gegen Neonazis wirkt die Lichterkette, an der sich angeblich zehntausende in der Nacht zum Sonntag beteiligt haben. An manchen Stellen wirkt sie allerdings arg löchrig. Die Polizei malt die Lage mal schön und erklärt, die Kette habe von West-Staaken bis Kaulsdorf gereicht.

Am Sonntag geht das Fest „Tag der Demokratie“ am Brandenburger Tor weiter. Die Lage ist entspannt. Ab und zu mal kleinere Interviews auf der mit roten, schwarzen und goldenen Luftballons umkränzten Bühne auf dem Platz des 18. März. Die Stimmung ist trotz Unterhaltung von Militärmusik über russischsprachige Chöre bis Jazz verhalten. Vielleicht liegt’s am Regen, der mittags niederprasselt.

Dann die offiziellen Staatsakte: Zunächst ein ökumenischer Gottesdienst in der Hedwigs-Kathedrale, zu der sich die ganze Staatsspitze einfindet. Die Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, würdigen dabei den 8. Mai 1945 als einen „Tag der Befreiung“. Danach legen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Bundespräsident Horst Köhler mit den Spitzen von Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht Kränze in der Neuen Wache gegenüber nieder – im Gedenken an die „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“, wie die umstrittene Widmung am Schinkel-Bau lautet.

Die anschließende Rede Köhlers beim Festakt des Bundestags balanciert zwischen dem Blick zurück in Grauen, Schuld und Scham einerseits und andererseits dem Stolz des Präsidenten auf die Nation, die er vertritt. Erstmals Beifall erhält er, als Köhler betont: „Es gibt keinen Schlussstrich.“

Am brisantesten ist das Geschehen fast zeitgleich rund um den Alex unter dem Fernsehturm: Rund 2.200 Neonazis versammeln sich dort in einem von der Polizei errichteten Gatter. Ihre geplante Demonstrationsroute, die Karl-Liebknecht-Straße hinunter über die Straße Unter den Linden bis zum Bahnhof Friedrichstraße, bleibt jedoch Wunschdenken. Überall Polizei mit Mannschaftswagen und Wasserwerfern. Etwa 15.000 Gegendemonstranten, aufgeteilt in etwa 30 Gruppen, stellen sich den Nazis in den Weg.

Kurz nach 16 Uhr sagt die Polizei am Berliner Dom durch, dass der NPD-Abmarsch abgesagt sei. Die Gegendemonstranten brechen in Jubel aus. An der Rathausbrücke erstaunt schließlich ein Novum in der Demonstrationsgeschichte der Hauptstadt. An die Gegendemonstranten gerichtet, verkündet die Polizei auch hier die Absage des Nazi-Zuges – und fügt hinzu: „Danke für Ihre Mitarbeit und den friedlichen Protest.“ Polizeipräsident Glietsch erklärt später, wegen der vielen Gegendemonstranten sei eine friedliche Durchführung des NPD-Aufmarschs nicht mehr gewährleistet gewesen. „Ein Durchprügeln wäre unverhältnismäßig gewesen.“

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