Kühl. Dann heiter

Bushs Freiheitsrufe im Baltikum haben Putin verstimmt. Aber das Klima wird sich wieder bessern. Die USA brauchen gute Beziehungen zu Russland

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

„Ich liebe es, dass ihr ein freies Volk geworden und bereit seid, euch offen für die Freiheit einzusetzen“, meinte US-Präsident George Bush in Riga, wo er sich am Wochenende anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes mit der lettischen Präsidentin Vaira Vike-Freiberga und den Staatschefs Estlands und Litauens traf. Alle drei Staaten hätten den Wandel zu einer freien Gesellschaft erfolgreich gemeistert und seien Vorbild für viele osteuropäische Staaten, sagte Bush.

Gestern reiste der US-Präsident dann – nach einem Abstecher zu den Siegesfeiern in den Niederlanden – nach Moskau, wo er mit Wladimir Putin auf dessen Datscha zum Gespräch zusammenkam. Die Reise ins Baltikum am Vorabend der Moskauer Feierlichkeiten hat im Kreml für Verstimmung gesorgt. Moskau empfindet es als Affront, dass der US-Präsident zunächst die aufmüpfigen Balten besucht und nach der Feier auch noch in Georgien vorbeischaut, das sich vergeblich um die Auflösung russischer Militärbasen bemüht.

Der lange schwelende Streit mit den Balten hat vor dem Jubiläum besondere Schärfe erlangt. Estlands und Litauens Präsidenten lehnten es ab, an der Siegesparade in Moskau teilzunehmen. Sie verlangten das Eingeständnis, dass Moskau das Baltikum im Zweiten Weltkrieg widerrechtlich besetzt, der UdSSR einverleibt und neues Unglück über die Völker gebracht hätte.

Diese Version der Geschichte teilt die Kremlführung ganz und gar nicht. Sie reklamiert die Befreiung Europas für sich, alles andere seien vernachlässigbare Fußnoten, die nur das Verdienst der UdSSR schmälern wollten. Während Wladimir Putin in einer versöhnlicheren Geste darauf verwies, der Oberste Sowjet hätte 1989 bereits den Molotow-Ribbentrop-Pakt verurteilt, deshalb brauche man das jetzt nicht zu wiederholen, schlug Verteidigungsminister Sergei Iwanow vor Veteranen gestern in die alte Kerbe. Man könne nicht besetzen, was einem ohnehin schon gehöre.

Die Balten waren mit ihrer Sicht auch in Europa lange einsam. Der demonstrative Auftritt George Bushs in Riga wird daran wohl langsam etwas ändern. Der Sieg über Nazi-Deutschland hätte zwar ein Ende des bewaffneten Konfliktes in Europa gebracht, sagte Bush. „Unglücklicherweise begann danach für Millionen Menschen auf dem Kontinent eine Tyrannei anderer Art“. Damit spielte Bush auf die stalinistische Zwangsherrschaft nach dem Kriege an. Die Kritik an den Sowjets schwächte er gleichwohl ab, indem er auch die Westmächte mit in die Verantwortung nahm. Das Abkommen von Jalta sei eine Übereinkunft zwischen der UdSSR, den USA und Großbritannien gewesen, die damit der Nachkriegsteilung Europas den Weg geebnet hätten.

Putin ist über Bushs Auftritt nicht amüsiert. Zumal Bush Geschichte und Gegenwart verknüpfte und Russlands Verbündeten, den Nachbarn Weißrussland, als letzte Diktatur Europas bezeichnete und freie Wahlen forderte. Dies wertet der Kreml indes als direkte Einmischung nicht nur in die inneren Angelegenheiten des Nachbarn, sondern auch in die Russlands. Einerseits weil Moskau Weißrussland als Satelliten betrachtet, andererseits weil sich auch der Kreml zunehmender Kritik an seiner autoritären Herrschaftsweise ausgesetzt sieht. Der Umsturz in der Ukraine hat das Selbstbewusstsein der Moskauer Führung erschüttert. Nun droht auch die Gedenkfeier, die eigentlich das Image der Kremlriege aufpolieren sollte, noch zu einer harschen Lektion in Geschichte und Demokratie zu werden.

Langfristig wird dies die Beziehungen zu den USA aber nicht nachhaltig belasten. Bush hat als „Retter der Demokratie“ Flagge gezeigt und den Kritikern in den USA den Wind aus den Segeln genommen. Nun wird Washington wieder zu pragmatischer Politik zurückkehren. Die geht von der Prämisse aus, Isolationstendenzen und Ängsten in Moskau keinen Vorschub zu leisten. Solange es bei der Nonproliferation von Nuklearwaffen mitspielt und im Antiterrorkampf nicht die Seite wechselt, ist Washington bereit auch mal ein Auge zuzudrücken.