Der Gedenkreigen

aus BERLIN PHILIPP GESSLER

Es begann mit einer 30 Kilometer langen Lichterkette von tausenden Menschen am Samstagabend quer durch Berlin: Die Hauptstadt gedachte des Kriegsendes vor 60 Jahren. Das Gedenken wurde bestimmt von offiziellen Akten der Staatsspitze am Sonntag, einem bunten Straßenfest an der West-Ost-Achse Straße des 17. Juni – und von Demonstrationen der Neonazis und ihrer Gegner.

Der Gedenkreigen begann mit einem Gottesdienst der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der Westberliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, die als Ruine selbst Mahnmal gegen den Krieg ist. Der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, warnte in seiner Predigt vor Gleichgültigkeit gegenüber Ungerechtigkeit und Antisemitismus. Am sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow legten der russische Botschafter Wladimir Kotenew und der Präsident des Abgeordnetenhauses, Walter Momper, vor Veteranen der Roten Armee Kränze nieder. Kotenew sagte, der 8. Mai 1945 sei der Sieg der Zivilisation über die Barbarei gewesen.

Bei einem ökumenischen Gottesdienst in der Sankt-Hedwigs-Kathedrale sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann vor Mitgliedern des Bundeskabinetts und des Bundestags, die Deutschen hätten sich neu bestimmen müssen, denn sie hätten sich radikal in der Barbarei verirrt gehabt. „Wir sind demokratiefähig geworden und haben bald entdeckt, dass unser künftiger Platz nicht mehr in einem gesteigerten Nationalismus, sondern in der Integration Europas liegt.“

Nach dem Gottesdienst legten Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) neben anderen Vertretern der Verfassungsorgane zu Ehren der Millionen Opfer des Zweiten Weltkriegs an der Gedenkstätte Neue Wache, Unter den Linden gegenüber der Kathedrale, Kränze nieder.

Bundespräsident Köhler betonte in seiner Gedenkrede im Bundestag neben der deutschen Schuld der Vergangenheit vor allem die Verdienste und Errungenschaften der Deutschen in der Nachkriegszeit. „Unser Land hat sich von seinem Inneren her verändert, und das ist erst recht ein Grund zur Freude und Dankbarkeit.“ Man habe „die Gewissheit, dass wir Deutsche den Weg zu unserer freien und demokratischen Gesellschaft aus eigener Begabung zur Freiheit gegangen sind.“ Köhler fügte hinzu: „Wir haben heute guten Grund, stolz auf unser Land zu sein.“

Am Ende sagte die Polizei den NPD-Aufmarsch im Stadtzentrum kurz nach Beginn des Zuges ab – wegen der vielen Gegendemonstranten.